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Das bedingungslose Grundeinkommen und die „neuen“ Gutmenschen |
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Ein weiterer Anlauf der Scharlatane „mit Herz“, die Welt zu retten |
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Selbst wenn die Arbeitslosen durch ein von der Erwerbsarbeit abgekoppeltes Grundeinkommen materiell besser als bisher abgesichert wären ... bliebe das Problem ihrer sozialen Ausgrenzung bestehen. ... Gleichzeitig wäre die Regierung nicht nur ihrer Pflicht zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit enthoben, sondern auch die Durchsetzung weitreichender Deregulierungskonzepte möglich. ... Wenn (fast) alle bisherigen Transferleistungen in einem Grundeinkommen aufgingen, hätten Neoliberale ihr Ziel erreicht, das traditionsreiche Sozialversicherungssystem zu zerstören, und könnten den Systemwechsel noch dazu als Wohltat für die Bedürftigsten hinstellen. |
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Christoph Butterwegge, lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln |
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Die Vorstellung ist nicht nur illusionär, sondern auch reaktionär. Die Befürworter eines Grundeinkommens scheuen die Auseinandersetzung mit den Verhältnissen im gegenwärtigen Kapitalismus. Mit ihnen lässt sich keine Gegenbewegung begründen. Diese hätte ihre Kapitulationserklärung bereits unterzeichnet, bevor sie sich überhaupt formierte. Die Befürworter des Grundeinkommens flüchten sich ... in einen Modellplatonismus, der niemandem weh tut und niemanden überzeugt. |
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Ernst Lohoff, sozialkritischer Publizist und Mitbegründer der Theoriezeitschrift „Krisis“ |
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Die Idee des bedingungslosen Einkommens weckt feinste und edelste Gefühle. Gewiss nicht ohne Grund. Man will jedem Menschen, einfach nur deshalb, weil er sich einmal Mühe gegeben hat geboren zu werden, ein würdiges und sinnvolles Leben ermöglichen. Götz Werner denkt an 800, 1000 und sogar 1500 € Einkommen pro Monat für jeden Bürger, ohne jegliche Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber. Wenn ein Mensch dem andern ein solches sozio-kulturelles Existenzminimum gönnt, kann er nur beliebt sein. Ihm wird schnell ein gutes Herz attestiert - er wird zu den sogenannten Gutmenschen erhoben. Man vergisst dabei schnell und gern, dass das Gegenteil von gut gut gemeint ist.
Die Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens wollen aber nicht als Gutmenschen verstanden werden und schon gar nicht wollen sie, dass man sie in die Nähe von irgendwelchen Utopisten und Träumern rückt. Sie sind der festen Überzeugung, eine reale und gut durchdachte ökonomische und soziale Alternative anbieten zu können. In der Tat stammen die Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens aus verschiedenen sozialen Schichten und politischen Gruppierungen. Seltsamerweise melden sich zu dem bedingungslosen Einkommen auch diejenigen zu Wort, von denen man so etwas nie erwarten würde, nämlich die überzeugten Konservativen und Neoliberalen. Sie haben natürlich ihre eigene Vorstellung von einem bedingungslosen Einkommen und sie nennen es auch anders. Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) spricht vom „solidarischen Bürgergeld“. Eine in der Tat werbewirksame Bezeichnung, mit der er auch noch an Ansehen bei jenen Personen und Gruppen gewinnt, die die Opfer der Politik seiner politischen Gruppe sind. Er verprellte damit auch eine nicht geringe Zahl von reformbesessenen, sogenannten linken Intellektuellen. Von ihm kann man wirklich etwas lernen. Der erzliberale Milton Friedman spricht von negativer Einkommensteuer. Wenn so viele für eine Idee sind, verleiht ihr das automatisch eine gewisse Seriosität. Wie schön, wenn die Idee wirklich seriös wäre. Sie ist es aber keinesfalls. Versuchen wir nun herauszufinden, was die Konservativen und Neoliberalen heimlich im Schilde führen, wenn sie sich für das bedingungslose Einkommen einsetzen.
Der Kapitalismus ist über zwei Jahrhunderte alt und wir wissen nur allzu gut, was er kann und was nicht. Wer die Realität nicht verdrängt oder leugnet, kann nicht bestreiten, dass es dem Kapitalismus nie auf Dauer gelungen ist, Probleme wie ökonomische Depressionen, Massenarmut und Massenarbeitslosigkeit zu lösen. So wie Verbrennungsmotoren Ruß und CO2 ausstoßen, so stößt die freie Marktwirtschaft „überflüssige Bevölkerung“ aus. Im 19. Jahrhundert hat man sich diese generischen Probleme der Marktwirtschaft auf recht simple Weise erklärt: Die„überflüssige Bevölkerung“ wäre angeblich nur eine Folge der Sexbesessenheit der Armen. Nun begann die Bevölkerung am Ende des 19. Jahrhunderts zu schrumpfen, zuerst in einigen Ländern Europas und dann in allen anderen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts verstärkte sich dieser Trend ständig - bis heute. Deutschland gehört zu den am meisten betroffenen Ländern, aber gerade bei uns wächst auch die „überflüssige Bevölkerung“ am schnellsten. Recht hatte also Marx, als er behauptete, die Arbeitslosigkeit im Kapitalismus sei nicht die Folge der Überbevölkerung.
Der Kapitalismus kann die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen, aber er hat auch kein großes Interesse daran, dies zu tun. Es gibt nämlich keine effizientere Methode, Löhne zu senken und Volkseinkommen von Arm an Reich umzuverteilen, als die „überflüssige Bevölkerung“ bzw. die „industrielle Reservearmee“ (Marx) auf einem hohen Niveau zu halten. Deshalb setzen die Reichen und Superreichen Himmel und Hölle in Bewegung, um den Betroffenen weiszumachen, dass ihre Lage ein nicht veränderbarer, natürlicher Stand der Dinge sei. Ja, das haben die herrschenden Klassen immer behauptet. Selbst der prominenteste Liberale des 19. Jahrhunderts, John Stuart Mill, bemerkte, dass es „nie eine Herrschaft gegeben hat, die den Herrschenden nicht natürlich erschien“. Heute beruft man sich nicht so sehr auf die Natur, man spricht von Sachzwängen, aber damit ist dasselbe gemeint. Als Pointe kommt noch dann: Eine Alternative gibt es nicht! Die Gesellschaft und die Wirtschaft können also für die „Minderleister“ und „Leistungsverweigerer“ leider, leider nichts tun. Von denen, die meinen, besonders raffiniert zu sein, kommt dann die Bemerkung, dass es „richtige“ Arbeitslose und Arme „bei uns“ eigentlich nicht gäbe. Eigentlich gehe es auch denjenigen bei uns, die nicht mithalten können, doch noch viel, viel besser als vielen Menschen auf der Welt. Damit diese Verleumdung und Verunglimpfung der Opfer glaubwürdiger erscheint, sind die Reichen und Superreichen bereit, viel in korrupte Experten und „Wissenschaftler“ zu investieren, die all diese Behauptungen mit „streng wissenschaftlichen“ Beweisen untermauern. Wird man mit all diesen „Argumenten“ und „Beweisen“ die „Überflüssigen“ aber auch langfristig beruhigen können?
Die zahlreichen Rebellionen, Revolutionen und Kriege, die der Kapitalismus seit seinem Entstehen erlebt hat, sind ein unmissverständliches Symptom dafür, dass sich die „Verdammten dieser Erde“ nicht unendlich lange belügen lassen. Man kann sich also sicher sein, dass sich auch gegen den heutigen menschenverachtenden Kapitalismus politischer Widerstand bilden wird. Möglicherweise ist man heute noch nicht so weit, aber ein nicht politisch formulierter Widerstand wächst in einem atemberaubenden Tempo. Was ist nämlich Gewalt und Kriminalität? Sie sind Versuche, illegal für sich etwas von dem zu ergattern, was den „Eliten“ von alleine in den Schoß fällt, indem sie die Gesetze nach eigener Vorstellung umformulieren und uminterpretieren. Und was kann man gegen die Gewalt und die Kriminalität unternehmen? Den amerikanischen Reichen ist es eingefallen - da sind sie uns einige Jahre voraus -, dieses Problem mit nazistischen Methoden zu lösen, also mit immer mehr Verfolgung, Strafen und Gefängnissen. Der US-Autor Christian Parenti bezeichnet diese Strategie der neu-alten Reichen in den westlichen Gesellschaften am Ende des 20. Jahrhunderts als „fieberhafte Orgie der Masseninhaftierung“:
„Von 1975 bis 2007 stieg die Gesamtzahl der Häftlinge in US-Gefängnissen von 380.000 auf über 2,5 Millionen. Mittlerweile haben die USA die höchste Pro-Kopf-Gefangenenzahl der Welt. Von 100.000 US-Amerikanern sitzen über 800 im Knast, in Deutschland sind es hingegen „nur“ ca. 80. 50 Milliarden US-Dollar wurden 2007 für das Gefängnissystem aufgewendet, und in vielen Bundesstaaten ist der Etat hierfür höher als das Bildungsbudget. Zugleich kam es zu einer Teilprivatisierung, die allerdings oft überschätzt wird. Privatunternehmen verdienen an dieser explosionsartigen Entwicklung des Strafwesens in den USA enorme Summen, aber immer noch sitzen weniger als zehn Prozent der US-Häftlinge in Privatgefängnissen ein.“
Man muss heute verblüfft feststellen, dass sich die Vision aus dem bekannten Roman „1984“ von George Orwell über einen hierarchischen, total überwachten und repressiven Staat nicht in den kommunistischen, sondern in den traditionell kapitalistischen Gesellschaften allmählich realisiert. (Mit dem kleinen Unterschied, dass dort die Parteimitglieder, im postmodernen Kapitalismus jedoch die Untertanen überwacht werden.) Und genau nach dem Szenario von Orwell hat man einen permanenten äußeren Feind konstruiert, den „islamischen Terrorismus“, damit die Repressionen und die Ausbeutung im Inneren legitimiert erscheinen. Die Ergebnisse sind aber alles andere als zufrieden stellend. Verwunderlich ist dies nicht. Dieselben Methoden haben nämlich schon dem Faschismus und Kommunismus langfristig nicht genützt, und es wird immer deutlicher, dass sie auch den neuen abgeklärten, abgebrühten und raffgierigen Eliten nicht das bringen werden, was sie sich von ihnen versprochen haben. Auch Gewalt hat ihre Grenzen.
„Wer meint, er könne das soziale Netz zerschneiden und durch Gefängnisgitter ersetzen, möge sich in den Vereinigten Staaten von Amerika umschauen: Dort ist, auch aus diesem Grund, die Inhaftierungsquote innerhalb von zwanzig Jahren um 500 Prozent gestiegen. 2,2 Millionen Menschen saßen Ende 2003 in amerikanischen Gefängnissen. Insgesamt sind 6,98 Millionen Menschen in Haft oder stehen unter Bewährungsaufsicht. Die USA, so analysiert Loic Wacquant, Soziologieprofessor in Berkeley, betrieb eine Politik, die die Folgen ihres eigenen Versagens kriminalisiert. Es wächst dort freilich auch neue Erkenntnis, weil die Hysterie des Einsperrens nicht finanzierbar ist: An die 40 Milliarden Dollar kostet das Einsperren jedes Jahr. Soziale Ausgrenzung kann man nicht mit Polizei und Gefängnis beenden. Wenn man das macht, produziert man nicht nur ein strafrechtliches, sondern auch ein ökonomisches Desaster.“
Die Amerikaner hatten aber bisher kein Problem, diese 40 oder 50 Milliarden jedes Jahr zu besorgen bzw. nachdrucken zu lassen und auf dem Markt dafür die gewünschten Güter zu kaufen. „Amerika, du hast es besser, als unser Kontinent, der Alte“, hat Goethe gereimt (An die Vereinigten Staaten, 1818). Aber auch mit noch so viel Geld, so sieht es aus, wird man das Problem nicht lösen. Durch die Kriminalisierung derjenigen, die für mehr Teilhabe und mehr Gerechtigkeit kämpfen, schafft man nämlich eine kriminelle Mentalität und Kultur. Die unangemessene und übertriebene Repression verdirbt irreparabel den Charakter sowohl der Unterdrücker als der Unterdrückten, so die Schlussfolgerung aus den Analysen des amerikanischen Historikers und Sozialkritikers Christopher Lasch (1932-1994), der sich insbesondere für die Folgen des Narzissmus und Egoismus der neuen Umverteilungseliten interessierte. Vor allem sind diese Folgen bei den Kindern und Jugendlichen verheerend:
„Viele junge Menschen bewegen sich in einem Vakuum, was ihre ethisch-moralische Orientierung angeht. Sie lehnen die ethischen Forderungen der »Gesellschaft« als Eingriff in ihre persönliche Freiheit ab. Sie glauben, daß ihre Rechte als Individuen das Recht einschließen, »ihre eigenen Wertvorstellungen zu entwickeln«, aber sie können nicht erklären, was das bedeuten soll, außer der Freiheit, zu tun, was sie wollen.
Da sich vor ihnen nichts auftut, was auch nur den Anschein einer lohnenden Zukunftsperspektive erweckt, sind sie für Mäßigkeitsappelle und erst recht für Appelle an ihr Gewissen taub. Sie wissen, was sie wollen, und sie wollen es jetzt. Verzicht auf die sofortige Erfüllung von Wünschen, Zukunftsplanung, Erwerb von Bildung und Wissen bedeuten diesen vorzeitig verhärteten Kindern der Straße nichts. Da sie damit rechnen, jung zu sterben, kann die Androhung gesetzlicher Strafen sie ebensowenig beeindrucken. ... Ihr Lebensstil ist natürlich gefährlich, aber an einem gewissen Punkt wird die Gefahr selbst zum Anreiz, zur Alternative zu der schieren Hoffnungslosigkeit, der sie sonst gegenüberstehen würden.
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Von diesem Hintergrund aus überlegen nun die Konservativen und Neoliberalen - ganz kühl und rational -, ob es nicht doch billiger wäre, die Armen anders ruhig zu stellen: nämlich mit dem vom Staat garantierten Grundeinkommen, also mit einem bisschen besseren Almosen. Das bedingungslose Einkommen wäre dann eine Abfindungsprämie für die Ausgrenzung aus der Gesellschaft, die sich ideologisch als ein Sieg des Humanismus und Altruismus verkaufen könnte. Man könnte sich brüsten, denjenigen, die sonst „überlebensunfähig“ wären, doch ein bisschen Leben gespendet zu haben. Aber so wird es nicht kommen. Würde man das Grundeinkommen realisieren, würden sich immer mehr Menschen aus der Gesellschaft zurückziehen. Dies würde schließlich zu einer neuen Spaltung der Gesellschaft führen: die Schere zwischen Arm und Reich würde größer werden und in den Großstädten würden ganze Stadtteile verfallen und neue Slums entstehen. Wir können dieses Phänomen in Amerika gut betrachten und studieren. In Europa nicht? Doch, und zwar seit vielen Jahrhunderten. Was in Osteuropa und auf dem Balkan bei den Roma und Sinti „Zigeunerkultur“ heißt, wird sich nach der Einführung des Grundeinkommens auf immer weitere Teile der Bevölkerung ausdehnen.
Es täuschen sich also fatal all diejenigen, die ehrlich der Meinung sind, sie würden damit Arbeitslose integrieren und ihrem Leben mehr Inhalt und Sinn verleihen. Der bekannteste deutsche Verfechter des bedingungslosen Einkommens, Götz Werner, ist ein typisches Beispiel dieser naiven Gutmenschen. Man sieht ihm dies aber nicht gleich an, weil er sich geschickt hinter den Floskeln der deutschen naiv-romantischen Philosophie versteckt. Nach den ethischen Auffassungen dieser realitätsfremden spekulativen Philosophie, die mit Kant anfängt, sollte der Mensch (homo ethicus) sich von guten Absichten (kategorischem Imperativ) leiten lassen. Dann brauche er sich über die Folgen seines Tuns keine Gedanken mehr zu machen: der sogenannte gute Wille würde alles richten und entschuldigen. In den unendlichen luftleeren Weiten der Metaphysik mag so etwas möglicherweise stimmig sein, in der Wirklichkeit funktioniert es aber nicht. Würde man Götz Werner irgendwann ermöglichen, seine Idee zu verwirklichen, würden wir mit den sogenannten guten Absichten in der Hölle enden.
Die von Götz Werner entwickelte Idee des bedingungslosen Einkommens, auch wenn sie keine Aussicht auf Erfolg hat, ist jedoch lehrreich, weil sie viele relevante Komponenten des typisch utopischen Denkens beinhaltet. Wir erörtern drei von ihnen.
1) Mit der kapitalistischen Wirtschaft ist im Großen und Ganzen alles in Ordnung
Die Gutmenschen, weil sie sich auf das gute Herz und den sogenannten gesunden Menschenverstand verlassen, interessieren sich wenig für ökonomische Theorien und Modelle. Aber auch wenn sie sich für sie interessieren würden, wie hätte dies ihre Überlegungen beeinflussen können? Wir haben bereits festgestellt, dass die liberalen Ökonomen des 19. Jahrhunderts (auch Marx) in der Wirtschaft eine vollautomatische Maschine gesehen haben, die einwandfrei funktioniert. Die späteren, also die neoliberalen Ökonomen vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts waren erst recht dieser Auaffassung. Zu einer kurzfristigen Verwirrung hat nach der Großen Depression der dreißiger Jahre Keynes gesorgt, aber seine Theorie konnte sich nur knapp drei Jahrzehnte halten. Götz Werner ist aber alles andere als ein Keynesianer, so dass auch für ihn das Wirtschaftssystem das letzte ist, was er ändern würde. Die Marktwirtschaft funktioniert seines Erachtens einwandfrei: überall, immer und voraussetzungslos. Wie sollte er eigentlich an einer Wirtschaftsordnung etwas auszusetzen haben, die ihm persönlich Reichtum und Privilegien beschert hat? Genauer gesagt funktioniert die private Marktwirtschaft nach seiner Überzeugung sogar viel zu gut, und gerade das sei die wahre Ursache aller Probleme: Die private Marktwirtschaft sei unglaublich erfolgreich in ihrer vermeintlichen Aufgabe, die Produktivität zu steigern, und gerade deshalb produziere sie die Arbeitslosigkeit.
Ja, im Grunde hat dies auch Marx nicht anders gesehen. Götz Werner folgt ihm hier dicht auf den Fersen. Aber weil die Marktwirtschaft so einwandfrei funktioniert, so seine Schlussfolgerung, sollte man nichts anderes tun, als sich besser um ihre Opfer zu kümmern. Dies ist der ökonomisch-theoretische Hintergrund des bedingungslosen Einkommens von Götz Werner. An diese ökonomische Auffassung knüpft er dann seine ethischen Überlegungen, über den Sinn der Produktivität bzw. des Wohlstands. Sie sind für linke Utopisten und Träumer typisch, also sind sie alles andere als originell und neu, und dasselbe lässt sich auch für die Argumentation sagen, mit der Götz Werner sie untermauert. Diese beruht nämlich auf der These, die man bei den Ökonomen als „Ende der Knappheit“ kennt. Was heißt das?
Es gab schon immer in der Geschichte Menschen, die überzeugt waren, man besitze schon genug Güter, so dass sich das Problem der Produktion als ein für allemal gelöst betrachten lässt. Erinnern wir uns etwa an den Vater des modernen Indien, Mahatma Gandhi, für den es als selbstverständlich galt, dass Inder schon ausreichend materiell versorgt seien, auch wenn sie kaum anders als mehrere Jahrtausende davor lebten. Auch die Kommunisten haben auf die Karte des „entfremdeten Konsumenten“ und der „falschen Bedürfnisse“ gesetzt, aber sehr vorsichtig, weil der Kommunismus schon der Definition nach eine Überflussgesellschaft sein sollte. Was ist nun an der These von „Ende der Knappheit“ wahr? Das wollten auch die Statistiker herausfinden und haben sich immer wieder Mühe gegeben, der Sache auf den Grund zu gehen.
Ihre empirischen Erhebungen haben tatsächlich zum Ergebnis geführt, dass Menschen auf keinen Fall der Meinung seien, ihre Bedürfnisse wären unbegrenzt. Im Gegenteil! Eigentlich sollten Menschen sogar ziemlich bescheiden sein, so die genaueren statistischen Nachforschungen. Eine überwältigende Mehrheit gab nämlich an, dass ihr Einkommen etwa um ein Drittel steigen sollte, dann würden all ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Nun haben die fleißigen Statistiker bei den Befragten, nachdem diese ihr Drittel Einkommenszuwachs erreicht hatten, noch einmal an die Türe geklopft. Was haben sie festgestellt? Den Befragten fehlte wieder exakt das gleiche „ein Drittel“, um wunschlos glücklich zu sein. Natürlich haben die Befragten geschworen, dass es diesmal wirklich das letzte Mal sei. Götz Werner ist offensichtlich einer, der ihnen aufs Wort glaubt. Er sieht eine radikale zivilisatorische Wende voraus, sozusagen einen dialektischen Umschlag von Quantität zu Qualität bei den menschlichen Bedürfnissen. Deshalb macht er bei seinen zahlreichen Auftritten und Interviews immer wieder den Politikern und Zeitgenossen Vorwürfe, dies nicht gemerkt zu haben:
„Die Politiker glauben immer noch an den Mythos der Vollbeschäftigung. Sie sind ganz benebelt davon. Aber Vollbeschäftigung ist eine Lüge. ...Wir haben ein kulturelles Problem. Zum ersten Mal nach über 5.000 Jahren Menschheitsgeschichte leben wir im Überfluss. Aber wir kommen mit dieser neuen Wirklichkeit nicht klar.“
Wir fragen aber nach. Warum sollte es diesmal wirklich stimmen, dass wir das „Ende der Knappheit“ erreicht haben? Voraussichtlich hat sich Götz Werner bei den Futuristen umgehört und ist dort auf die frohe Botschaft gestoßen: Die Roboter sollen für die Wende sorgen. Früher wäre es illusionär gewesen, zu behaupten, so seine Schlussfolgerung, die gesellschaftliche Produktivität würde für den Wohlstand für alle reichen, aber jetzt sei die Wirtschaft angeblich endgültig so weit. Den Robotern sei Dank! Sie seien schneller im Kommen als wir gedacht haben, meint Götz Werner zu wissen. Sie würden unsere Sklaven sein.
Was soll man dazu sagen? Helfen wir uns mit einem ein bisschen ausführlicheren Zitat von dem bekannten amerikanischen Ökonomen Paul Krugman:
„Wer zurückblickt, muss immer gewisse Zugeständnisse machen. Es wäre unfair, etwa den Beobachtern am Ausgang des 20. Jahrhunderts vorzuwerfen, dass sie nicht alle Entwicklungen des 21 .Jahrhunderts vorhersahen. ... Rätselhaft bleibt allerdings, weshalb die Experten jener Zeit die Folgen dieser Veränderungen so völlig falsch einschätzten. Am besten lässt sich diese fehlerhafte Vision der Futuristen am Ende des 20. Jahrhunderts wohl so beschreiben: Mit nur wenigen Ausnahmen erwarteten sie alle eine blitzsaubere Wirtschaft - niemand werde sich mehr die Finger schmutzig machen müssen. Weil ja die „Informationswirtschaft“ im Anmarsch sei: Die Produktion werde sich in den Bereich der immateriellen Güter verlagern. ... Aber selbst 1996 hätte man eigentlich merken müssen, wie idiotisch diese Vorstellung war. Erstens nämlich muss eine Volkswirtschaft - jenseits aller Informationstechnologie - die Bedürfnisse der Verbraucher befriedigen. Diese aber fordern außer Informationen vor allem auch handfeste Waren ... schöne Häuser, Autos und Nahrungsmittel. Zweitens war die Informationsrevolution des späten 20. Jahrhunderts ein zwar spektakulärer, aber eben nur halber Erfolg ... die stolze und viel versprechende Künstliche-Intelligenz-Bewegung erlitt Niederlage auf Niederlage. Wie Marvin Minsky, einer der Gründer der Bewegung, verzweifelt feststellte, ist „das, was man gemeinhin gesunden Menschenverstand nennt, komplexer und vertrackter als all das von uns so bewunderte hochtechnische Spezialwissen“. Doch genau dieser gesunde Menschenverstand ist im Umgang mit der physischen Welt gefragt. So erklärt es sich, dass selbst am Ende des 2I.Jahrhunderts noch immer kein Roboter in der Lage ist, beispielsweise Sanitäranlagen zu installieren.
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Das „Ende der Knappheit“ und die „Roboter als die modernen Sklaven“ - alles an den Haaren herbeigezogen, Herr Werner! Sie spielen ein gefährliches Spiel. Sie vernebeln und verneinen mit Ihren realitätsfremden Fiktionen, dass die Marktwirtschaft eine schlecht konstruierte Maschine ist. Sie verhindern damit nützliche theoretische Anstrengungen, das neoliberale Paradigma zu ersetzen. Ihre utopische Phantasie lenkt auch von wirtschafts- und sozialpolitischen Nahzielen, wie etwa einem gesetzlichen Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzungen und einer Grundsicherung ab. Sie drängen die fälligen Arbeiten und Reparaturen an der Marktwirtschaft in den Hintergrund. Durch solche utopische Träumereien werden nur fruchtlose Geisterdiskussionen und Illusionen genährt, die von den wirklichen Problemen ablenken.
2) Auf den Menschen kann man sich immer verlassen
Es hört sich in der Tat so wunderbar an, wenn Götz Werner erklärt, dass die Roboter unsere neuen Sklaven seien. Aber auch er fühlt, dass es nicht glaubwürdig wäre, wenn er die menschliche Arbeit endgültig abschaffen wollte. Vielleicht merkte er als praktizierender Unternehmer, dass sich noch kein einziger Roboter bei ihm beworben hat, um seine Filialen zu putzen und seine Waren zu verkaufen. Deshalb wird er immer wieder von denjenigen, die nicht überzeugt sind, dass ihre Konkurrenz die Roboter sind, gefragt, wer eigentlich noch werde arbeiten wollen, wenn man jedem 800, 1000 oder gar 1500 € pro Monat einfach so schenken würde. Da bemüht Götz Werner mehrere „Argumente“.
So sagt er, dass die Löhne derjenigen, die sich über das bedingungslose Grundeinkommen noch etwas hinzuverdienen wollten, natürlich deutlich steigen würden. Dies sagt er in aller Deutlichkeit, aber am liebsten nach seinem offiziellen Auftritt, wenn er mit denen, die er am stärksten beeindruckt hat, noch ein bisschen zu plaudern beliebt. Also die Arbeit soll nach der Einführung des Grundeinkommens noch (deutlich) teurer sein als heute. (Und 800, 1000 oder gar 1500 € hat man sowieso schon in der Tasche.) Was sagt die einfachste Mathematik dazu? Es ist bekanntlich so, dass heute von dem gesamten Volkseinkommen die Arbeiter zwei Drittel bekommen. Der Rest ist also ein Drittel. Ob sogar dieses gesamte Drittel des Volkseinkommens für die Verteuerung der Arbeit, die er im Sinne hat, reichen würde, ist schwer zu glauben. Es spricht also alles dafür, dass das bedingungslose Einkommen in der Praxis auf etwa ein bedingungsloses Harz IV schrumpfen müsste. Eine nicht besonders berauschende Aussicht!
Das eigentliche Totschlagargument von Götz Werner, warum die Menschen trotzdem arbeiten gehen würden, ist aber ein anderes. Man merkt ihm an, mit welcher leidenschaftlichen Anteilnahme er dieses Argument vorführt. Er wartet, bis ihm ein Skeptiker die Frage stellt:
„Würden die Menschen ihrer Faulheit nicht freien Lauf lassen, wenn ihnen das Geld zum (anständigen und würdigen) Leben reichen würde?“
Anstatt zu antworten, fragt Götz Werner zurück:
„Würden Sie selbst aufhören zu arbeiten?“
Der Gefragte wird verlegen und beginnt sich zu rechtfertigen:
„Ich doch nicht, ich arbeite aus Begeisterung.“
Götz Werner folgert daraus, dass die meisten Menschen zwei Menschenbilder in sich tragen: ein gutes von sich und ein schlechtes von den Mitmenschen. Der Mensch denke eben schlecht vom Menschen - nicht von sich selbst natürlich, sondern immer vom jeweils anderen. Wer sich jedoch über den anderen erhebe, der handle im Prinzip unmenschlich. Wir würden nur von den anderen annehmen, dass sie sich am liebsten auf die faule Haut legen würden, von uns selbst jedoch nicht, so die triumphierende Schlussfolgerung von Götz Werner.
Interessanterweise kommt Götz Werner nie in den Sinn, dass die Menschen gern flunkern, und wenn es bequem und schön für sie ist, sich auch gern täuschen. Man schwört z.B. vor Gott und der Welt am Traualtar: „Bis der Tod uns scheidet“. Wir wissen, was meistens daraus wird. Oder nehmen wir ein anderes, provokantes Beispiel. Wie wäre es, wenn Götz Werner dem Befragten auch eine zweite Frage stellen würde: Ob er seine Frau mit dem berühmten Topmodel Claudia Schiffer betrügen würde, wenn dies nie jemand erfahren würde. Wir können uns gut vorstellen, wie viele dies entschieden verneinen würden oder wie sie sich gar beleidigt fühlen würden. Claudia Schiffer könnte also beruhigt sein. Es droht ihr nicht die geringste Gefahr vom Männergeschlecht. Oder vielleicht doch?
Man fragt sich immer wieder leicht verwirrt, wie es dazu kommt, dass der „Kapitalist“ Götz Werner eine so gute Meinung von den Menschen hat. Es ist doch schon immer so gewesen, dass die Kapitalisten über die Faulheit des Arbeiters geradezu entsetzt sind (weil man dann gute Gründe gegen höhere Löhne in der Hand hat). Ist also Götz Werner wirklich ehrlich davon überzeugt, dass man den Menschen ein bedingungsloses Einkommen problemlos schenken kann - dass sie trotzdem weiter arbeiten würden, als ob nichts geschehen wäre. Wie könnte er eigentlich darauf kommen? Von sich selbst ausgehend? Möglicherweise. Aber dann muss man Folgendes berücksichtigen:
Wenn jemand in seinem Beruf erfolgreich ist und im Club der Reichen immer weiter nach oben steigt, wie Götz Werner, dann lässt sich in der Tat mit Begeisterung arbeiten. Außerdem hat man dann auch genug Geld, sich die zahlreichen öffentlichen Auftritte zu leisten und sich als Prophet einer exotischen Idee zu profilieren. Vorausgesetzt, der Reiche hat noch andere Fähigkeiten, als nur zu wissen, wie man das Geld verdient und verschwendet. Götz Werner ist zweifellos einer von denen, die eine solche Fähigkeit besitzen, aber damit ist er nur die sprichwörtliche Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Nun hat er sich eine Idee angeeignet, mit der er zwar nicht so sehr im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen kann, wie etwa Dieter Bohlen mit seiner Show „Deutschland sucht den Superstar“, aber richtig beklagen kann er sich bestimmt nicht. Hat aber Götz Werner je ernsthaft nachgedacht, wie es einer einfachen Kassiererin in einem seiner Drogeriemärkte geht? Wie ist ihr zumute, wenn sie lebenslang stramm an der Kasse stehen und dem „König Kunde“ ständig zulächeln und Recht geben muss, noch dazu für wenig Geld und ohne eine Chance auf irgendwelche gesellschaftliche Anerkennung?
Es ist interessant, dass auch Marx von der Freude an der Arbeit geschwärmt hat, selber aber nicht einen einzigen Tag als richtiger Proletarier gearbeitet hat. In einer Hinsicht unterscheidet sich Götz Werner allerdings von Marx. Etwa ein Jahrzehnt vor seinem Tod hat Marx eingesehen, dass alles, was er davor über die Arbeit als Selbstzweck gelabert hatte, nur eine Schnapsidee eines müßigen und eitlen Philosophen gewesen ist. Voraussichtlich steht auch Götz Werner zumindest noch ein Jahrzehnt Leben zur Verfügung, so dass sich auch in seinem Kopf noch einiges klären wird. Er musste nämlich zuerst Geld verdienen (für Marx hat das Engels getan), so dass er möglicherweise aus Zeitnot nicht weiter gekommen ist, als nur den ersten Band des Kapitals zu lesen; wenn er irgendwann auch den dritten Band geschafft hat, wird sich auch bei ihm eine Wende vollziehen. Oder auch nicht? Einiges spricht dafür, dass er ein schwierigerer Fall als Marx ist.
Marx lebte vor dem Zusammenbruch des Kommunismus, Götz Werner lebt schon zwei Jahrzehnte danach. Marx hatte also keine reale Möglichkeit, mit einem groß angelegten Experiment das Bedürfnis des Menschen nach Arbeit empirisch zu testen. Götz Werner schon. Er hätte sich also genau erkundigen können, was dieses Experiment wirklich gebracht hat. Dann hätte er herausfinden können, dass der Kommunismus im Großen und Ganzen alle wichtigen Elemente des bedingungslosen Einkommens realisiert hat. Das minimale Einkommen (Mindestlohn) wurde angehoben, so dass sich jeder, der beschäftigt war (und das waren damals alle), sich so etwas wie ein bedingungsloses Einkommen verdienen konnte. Wer mehr verdienen wollte, konnte dies auch tun, allerdings nicht sozusagen fast unendlich mehr, wie es im Kapitalismus der Fall ist (Götz Werner ist das beste Beispiel dafür), aber gerade durch diesen Riegel nach oben konnte das untere (minimale) Einkommensniveau relativ hoch sein. Dies lässt sich für ziemlich alle kommunistischen Wirtschaften sagen. Im ehemaligen Jugoslawien war es sogar so, dass die Beschäftigten im Prinzip die Verwalter der Fabriken waren. Der Arbeiter sollte Herr seiner eigenen Arbeit und ihrer Ergebnisse sein, so die Grundidee dieses „selbstverwalteten Sozialismus“ und der „sozialistischen Marktwirtschaft“. Ja, es gab nie in der Geschichte eine Ordnung (dieser Größe), in der die „Massen“ so viel zu sagen hatten wie im kommunistischen Jugoslawien. Die herrschende Rolle des Arbeiters und des Bürgers wurde ausdrücklich und eindeutig in der Verfassung (1974) verankert und in anderen juristisch relevanten Dokumenten präzisiert und operationalisiert. Was mehr könnte man sich noch wünschen? Wenn der Mensch nur zum Teil so solidarisch und arbeitssüchtig wäre, wie es sich Götz Werner vorstellt, müsste diese Ordnung bestens funktionieren. Es müsste jeder mit ungeheurer Begeisterung und Hingabe arbeiten wollen. War es wirklich so? Nicht im Entferntesten!
Eins kann man allerdings nicht bestreiten, dass nämlich eine große Mehrheit der Menschen gut bezahlte Arbeit nicht ablehnen würde, so wie Götz Werner, um dann, wenn man Glück hatte, wirklich viel zu verdienen, aussteigen zu können und sich nur noch um Ruhm und Ehre zu bemühen. Auch selbstbestimmende, interessante und kreative Arbeit wird mit Begeisterung angenommen und gemacht. Aber dies ist schon keine Arbeit im üblichen Sinne des Wortes mehr, sondern eher ein Spiel, wie Friedrich Schiller es ausdrückte: „Der Mensch ... ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Wenn es aber genug von solchen Arbeitsplätzen gäbe, würde keiner ein bedingungsloses Einkommen brauchen.
3) Die gerechtere Verteilung ist das letzte ungelöste zivilisatorische Problem
Es ist fast unheimlich zu beobachten, wie aus den heutigen Diskussionen über das Grundeinkommen sogar die geringsten Zweifel an der Funktionsfähigkeit der kapitalistischen Marktwirtschaft verschwunden sind. Es gilt nach dem Zusammenbruch des Kommunismus als selbstverständlich, dass alle Fragen des Produktivitäts- und Wirtschaftswachstums beantwortet und alle ökonomischen Rätsel ein für alle mal gelöst sind. Als ob es nie die Zeiten gegeben hätte, als ein gewisser Keynes und seine zahlreichen Nachfolger als seriöse Ökonomen galten, als sie vom Marktversagen gesprochen haben. Aber an diese Zeiten erinnert sich kaum jemand mehr. Es gilt wieder einmal als unbezweifelbare Tatsache, dass der Markt eine idiotensichere Einrichtung ist. Er produziere (mehr oder weniger) nur positive Ergebnisse und immer mehr Wohlstand, den es ihm lediglich zu entreißen gelte, um ihn gerecht zu verteilen. Man streitet folglich nur darum, wie man dies tun soll. Erwähnen wir jetzt nur einige dieser Lösungen, die gerade aktuell sind.
Es ist verblüffend, wie einfach es vielen Bewegungen erscheint, die Globalisierung zu bändigen und menschlich zu gestalten. Sie meinen: Wenn die nationale Wirtschaft zu einer globalen geworden ist, dann heißt dies für sie nur, wir sollen nicht mehr national, sondern global besteuern. Die Globalisierungsgegner von Attac schlagen z.B. die Tobinsteuer vor. (Zumindest am Anfang war es so, jetzt weiß man gar nicht mehr, was man bei Attac eigentlich will.) Die sogenannte „neue Linke“ in Deutschland zieht einfach das komplette alte Repertoire der Reichenbesteuerung aus der Mottenkiste. Nach dem Muster: Wir leben in einer globalen Wirtschaft, und wenn schon! „Keine Angst vor der Globalisierung“, so der Titel eines Buches des Vertreters der neuen Linken (Oskar Lafontaine). Die Linke hat übrigens schon immer international gedacht, folglich kann auch die Globalisierung nicht so schlimm sein. Also tun wir so, als ob es sie nicht gäbe. Der alte linke Sozialdemokrat Albrecht Müller von NachdenkSeiten.de will noch weniger von der Globalisierung wissen. Nach ihm geht es alleine darum, die perfiden Praktiken der Neoliberalen zu entlarven und bloßzustellen (das macht er in der Tat verdammt gut); damit würde man die Macht der Neoliberalen brechen und dann sollte man alles (ziemlich) so machen wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Und alles wird wieder gut sein.
Zu solchen naiven und unechten Globalisierungsgegnern gehört Götz Werner aber nicht. Als ein Unternehmer mit Leib und Seele ist ihm sehr wohl bekannt, wie mächtig das Kapital geworden ist. Er sagt es zwar nicht offen, aber ihm ist es bestimmt bewusst, dass die Kapitalisten die Globalisierung (auch) deshalb so hartnäckig und rücksichtslos vorantreiben, weil sie mit ihr die klassischen Verteilungsmechanismen außer Kraft setzen (und die Löhne herabsetzen) konnten. Deshalb versucht Götz Werner intelligente Wege der Besteuerung zu finden, welchen sich die Reichen nicht so einfach entziehen könnten. Sein Vorschlag, alle Steuerarten zugunsten einer einzigen, der Mehrwertsteuer, abzuschaffen, ist zwar auch keine neue und originelle Idee, aber weil die Umstände so sind wie sie sind (die Globalisierung), ist es sehr vernünftig, auf die Mehrwertsteuer zu setzen.
Seltsamerweise stößt diese Besteuerungsart auf wenig Begeisterung. Dass die Liberalen sie nicht wollen, muss man sich nicht wundern. Traurig sind aber die Widerstände gegen die Mehrwertsteuer, die von den Linken kommen. Diese Steuer würde angeblich jene, die nur ein geringes Einkommen erzielen, und die Sozialhilfeempfänger am härtesten treffen. Wie oft haben wir dies im Wahlkampf (2005) gehört, als sich die CDU für eine höhere Mehrwertsteuer eingesetzt (und später auch durchgesetzt) hat. Schon die Tatsache, dass die FDP gegen die höhere Mehrwertsteuer war, hätte die linken Gutmenschen nachdenklich machen können. Was haben also die Linken falsch verstanden?
Götz Werner hat unzählige Male gesagt, dass diese Steuerart die (einzig) wirksamste Waffe gegen die Steuerflucht der Reichen sei. Und da hat er hundertprozentig Recht. Mag ein Global Player in Indien oder auf den Philippinen produzieren, der Mehrwertsteuer wird er sich dennoch nicht entziehen können. Er wird sie in Deutschland zahlen müssen, weil sie dort erhoben wird, wo die Güter verkauft werden, und nicht dort, wo die Firmen produzieren lassen oder wo sie ihre Profite ausweisen (in den Steueroasen). Kein Wunder also, dass die FDP auf diese Steuer besonders schlecht zu sprechen ist.
Man hört auch, die Erhöhung der Mehrwertsteuer sei ungerecht, weil sie den Armen und den Reichen gleich belaste. Was haben die Gutmenschen hier nicht verstanden? Wenn ein Autoreifen Druck verloren hat, liegt das Loch immer unten, weil der Reifen anderswo immer noch schön rund ist? So etwa denken auch die Gutmenschen, die im Namen der Armen gegen die Mehrwertsteuer auftreten. Es gibt keine Steuer, die nicht in den Preis der Konsumgüter, die auch die Armen konsumieren, einfließt. Jede Steuer, unabhängig davon, wo sie realisiert wird, zahlt letzten Endes der Konsument und damit auch der Arme. Außerdem kann man für Luxusgüter höhere Mehrwertsteuersätze festsetzen. Mit einem Wort, es gibt keine größere Dummheit als zu behaupten, die Mehrwertsteuer sei eine Steuerart, die ganz oder überwiegend den sozial Schwächeren schade.
In einer Hinsicht haben aber die Gegner der Mehrwertsteuer Recht. Wenn man sie anhebt, werden alle steuerlich belastet, auch die Armen und sozial Schwachen. Deshalb wäre es richtig zu sagen: höhere Mehrwertsteuer ja, aber (weil sie eine Steuererhöhung ist) zugleich eine entsprechende Kompensation für die am stärksten Benachteiligten. Die CDU (nachdem sie mit der SPD die Regierung gebildet hat) hatte dies natürlich nicht im Sinne. Sie wollte die leere Staatskasse auffüllen, welche die rot-grüne Regierung den Reichen 7 Jahre lang zur Plünderung überlassen hatte. Insoweit hat es im Wahlkampf 2005 berechtigte Gründe gegeben, gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu sein. Haben aber die Gegner dieser Steuererhöhung, etwa die von der Linkspartei, so argumentiert? Haben sie gesagt, die höhere Mehrwertsteuer sei an sich keine ungerechte und schlechte Steuerart, makroökonomisch betrachtet wäre sie eine richtige Maßnahme, sie sei nur deshalb bzw. dann abzulehnen, wenn man nicht zugleich jenen, die wenig verdienen oder von der Sozialhilfe leben, die Verluste kompensieren würde? Nein, so haben sie nicht argumentiert. Daraus lässt sich schließen, dass sie einfach gar nichts von der Ökonomie verstehen.
Wir wissen heute, was geschah, als die Mehrwertsteuer am Anfang des Jahres 2006 in Deutschland angehoben wurde. Es ist kein totaler Kollaps der Wirtschaft eingetreten, wie es uns zahlreiche prominente Politiker von der SPD, der FDP und den Linken sowie verschiedene Experten Tag ein, Tag aus prophezeit haben. Im Gegenteil. Man konnte sich eines Aufschwungs erfreuen, wie es ihn nach immer neuen Steuersenkungen der früheren rot-grünen Regierung nicht mehr gegeben hat. Dieser Aufschwung hatte natürlich mehrere Ursachen; es lässt sich aber (theoretisch) genau nachweisen, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Schließung der Nachfragelücke beigetragen und damit zum Wachstum verholfen hat, aber darüber später.
Bei so viel Lob an die Mehrwertsteuer sollte aber ausdrücklich gesagt werden, dass die Umstellung der Besteuerung auf eine höhere Mehrwertsteuer kein Zauberstab für die Lösung aller ökonomischen Probleme ist. Sie kann die grundlegenden Konstruktionsfehler der Marktwirtschaft nicht beseitigen, und schon gar nicht ist sie ein wirksames Mittel gegen Krisen und Depressionen. Außerdem hat sie, wie jede andere Steuerart, auch ihre Nachteile. Sollte es aber wieder so weit kommen, dass die Globalisierung eine Hölle auf Erden anzurichten droht, dann sollten wir entschlossen auf die Mehrwertsteuer setzen, die uns zumindest eine Verschnaufpause bescheren kann, um dann über die wahren Probleme der Marktwirtschaft nachzudenken.
Wer mehr über die Mehrwertsteuer erfahren will, sollte die Website von Manfred Julius Müller besuchen
bzw. in seinen Büchern nachschauen. Was er sich von der Mehrwertsteuer erhofft, sagt schon in aller Deutlichkeit der folgende kurze Ausschnitt aus:
„Dänemarks Beschäftigungswunder etwa, immer wieder als Vorbild gepriesen, lässt sich kaum mit den dortigen Arbeitsprogrammen erklären. Dänemarks „Luxus Steuer", die vornehmlich Importwaren betrifft (bei Autos z. B. ca. 100 %) und die hohe dänische Mehrwertsteuer dürften die eigentlichen Ursachen für die Erfolge sein, aber diese wirklich bedeutenden Faktoren bleiben meist unerwähnt.“
Die hohe Mehrwertsteuer würde, so die Kritiker, massenhaft zur Schwarzarbeit führen. Ja, besonders dann, wenn man nicht resolut nach ihr fahnden würde. Man würde natürlich nie verhindern können, dass ein Nachbar einem anderen die Wohnung tapeziert oder die Haare schneidet. Wie könnte man aber Autos, Strom, Waschbecken oder Handys in Schwarzarbeit herstellen? Außerdem hat sich Manfred Müller noch eine Waffe gegen die Schwarzarbeit (und zugleich auch gegen das Schmiergeld) ausgedacht: Totaler Verzicht auf Bargeld, also Zahlung nur mit Karte.
„Selbst Schwarzarbeit würde einem bargeldlosen Zahlungssystem zum Opfer fallen. Die Steuerfahnder könnten jede Zahlung verfolgen. Das Uraltproblem Schwarzarbeit wäre weitgehend gelöst. ... Viele Firmen sind nur groß geworden, weil sie den Umgang mit Schmiergeldern virtuos beherrschten. “
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Für die Mehrwertsteuer gilt dieser Satz sehr wohl, für das bedingungslose Einkommen aber nicht.
Bemerkung: Die Idee, durch die Mehrwertsteuer alle anderen Steuerarten zu ersetzen, ist im Grunde völlig unabhängig von dem bedingungslosen Grundeinkommen. Sie ist (schlicht und ergreifend) eine intelligente und zeitgemäße Besteuerungsart, und als eine solche sollen wir sie auch würdigen. Wenn wir auch ansonsten nichts von Götz Werners Ideen halten, für seine Verteidigung der Mehrwertsteuer sind wir ihm trotzdem zu großem Dank verpflichtet.
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