DIE BISHERIGEN PARADIGMEN DER WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT
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  Summary O Der deutsche Ordoliberalismus | für Eilige
 
 
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  Die EU: Ein neoliberales Projekt nach dem Vorbild des deutschen Merkantilismus
  Die Lebenslügen des Ordoliberalismus und sein Aufgehen im Neoliberalismus
       
 
In den Frühtexten des Ordoliberalismus wird deutlich, daß er seine Identität und Dynamik in erster Linie „aus seiner Opposition gegen wesentliche Zeitströmungen“ bezieht, vor allem aus der Gegnerschaft zur marxistischen und der sich parallel zum Neoliberalismus entwickelnden keynesianischen Wirtschaftstheorie.
 
    Ralf Ptakdeutscher kritischer Wirtschaftswissenschaftler    
       

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die ganze Welt über das deutsche Wirtschaftswunder staunte. Was für eine Theorie hinter diesem Erfolg stehen könnte konnten nicht einmal die ausländischen Ökonomen herausfinden. Könnte das etwa daran liegen, dass es damals zwar einen beachtlichen Aufschwung in Deutschland gab, aber eine eigene Theorie, die mit diesem Aufschwung irgendwie in einem Zusammenhang stehen würde, jedoch nicht? Ja, das ist die überzeugendste Antwort, die man sich denken kann. Alles was die ordoliberalen Theoretiker der „Sozialen Marktwirtschaft“ angeboten haben, war der Wirtschaftswissenschaft schon längst bekannt. Darüber hinaus war der deutsche Ordoliberalismus ein Stückwerk, in dem nicht einmal der sprichwörtliche rote Faden zu finden ist. Erst recht kann keine Rede davon sein, dass die Ordoliberalen das ökonomische Denken auf ein höheres analytisches Niveau gehoben hätten als ihre älteren Kollegen der deutschen Historischen Schule der Nationalökonomie. Nur mit abstrakten Begriffen zu hantieren ist noch lange kein analytisches Denken. Begriffe wie „Formen“ und „Ordnungsrahmen“ ließen sich nie operationalisieren. Der neue deutsche Liberalismus war kein analytischer Fortschritt im Vergleich mit der früheren Historischen Schule.

Darüber hinaus litt der Ordoliberalismus an einer typischen Schwäche der ganzen deutschen Philosophie und Sozialwissenschaft, nämlich an einer Vorliebe für die Kritik, die nur abstrakt und moralisierend vorgetragen wird. Das Wort Kritik finden wir schon in den Titel der wichtigsten Werke von Kant und so ging es in der deutschen Philosophie immer weiter. Der „ökonomischste“ aller deutschen Philosophen Marx bezeichnet seine ökonomische Lehre als Kritik der Politischen Ökonomie - auch hier konnte er den deutschen Philosophen in sich nicht überwinden. Und auch die Ordoliberalen schwadronieren ständig von Kritik. Sie empören sich über die Auswüchse des Marktes, ihre Kritik galt aber den Missständen und Auswüchsen im Allgemeinen. Sie kritisieren den blinden Glauben an den Markt, aber gegen den Markt an sich sind sie nicht, im Gegenteil. Solcher Kritik ist emotional und gutmenschlich. Mit ihr lässt sich weder etwas besser verstehen, noch hilft sie bei der Suche nach konkreten praktischen Maßnahmen. Die Ordoliberalen haben Argumentation mit Moral verwechselt. Eine solche Kritik hat auch den Nachteil, dass sie nicht einmal empirisch ist, so dass den neuen deutschen Liberalen, den Ordoliberalen, der empirische Bezug zur Realität der früheren Historischen Schule abhanden gekommen ist.

Es hört sich hart an, ist aber der Sache angemessen, zu sagen, dass die Ordoliberalen gar nichts geleistet haben. Schon das allein wäre schlimm genug. Viel schlimmer ist, dass sie mit ihrem Einfluss großen Schaden anrichteten, indem sie die ganze deutsche Wirtschaftswissenschaft in eine falsche Richtung gestoßen haben. Sie tragen nicht wenig Verantwortung dafür, dass in Deutschland eine Generation von Ökonomen heranwuchs, die sich abmühte eine konfuse und inhaltslose Theorie zu verstehen, die man gar nicht verstehen konnte, weil sie einfach nie etwas zu sagen hatte. Was diesen so genannten Ökonomen im Kopf hängen bleiben konnte, war nur eine Art „kategorischer Imperativ“: Die Marktwirtschaft soll und muss sozial sein. Als während des deutschen Wirtschaftswunders und überhaupt im Goldenen Zeitalter des Kapitalismus der Eindruck entstehen konnte, die Soziale Frage des Kapitalismus wäre endgültig und für immer gelöst, konnte man sich der Schlussfolgerung schwer entziehen, die Marktwirtschaft ist sozial - sie soll und muss es nicht mehr werden. Die neue Generation der deutschen Ökonomen, die Marktversagen und das Weimarer Desaster nicht erlebte, wurde den marktradikalen Auffassungen schutzlos ausgeliefert. In der neoklassischen, schon längst extrem mathematisierten Theorie des allgemeinen Marktgleichgewichts konnte sie all ihre Bedürfnisse nach „strengem“ analytischen Denken stillen. Damit konnte sie erst recht vom Boden der empirischen Tatsachen abheben. An die Stelle der Realität konnte die neue deutsche Generation von Ökonomen selbst konstruierte Lebenslügen setzen. Wir schauen uns die drei wichtigsten davon etwas genauer an.

Lebenslüge 1: Die Soziale Marktwirtschaft als deutscher Erfolg

Bevor man über das deutsche Wirtschaftswunder spricht, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die ganze westliche Welt einen beispiellosen Aufschwung erlebte, einen bis dahin nie gekannten Kapitalismus „mit menschlichen Antlitz“: Man sprach von einem „Goldenen Zeitalter“ des Kapitalismus. Schon wegen dieser Tatsache müsste man skeptisch sein, wenn das deutsche Wirtschaftswunder als etwas Besonderes ausgegeben wird. Außerdem herrschten im besetzten Deutschland besondere Umstände, die für den Aufschwung im positiven Sinne verantwortlich waren. Das deutsche Wirtschaftswunder war eine der wichtigsten Komponenten der Strategie des Kalten Krieges. Weil man darüber besonders beharrlich schweigt, soll darüber jetzt etwas mehr gesagt werden.

Es ist eine bekannte Tatsache, dass die USA zögerten, in den Zweiten Weltkrieg einzusteigen. Warum auch? Sie hatten mehr als zwei Jahrzehnte alles was in ihrer Macht stand unternommen, das rote Russland zu bezwingen. Sie haben zahlreiche innere Feinde finanziert sowie bewaffnete Killerbanden organisiert und nach Russland als Freiheitskämpfer eingeschleust, alles ohne Erfolg. Und dann hatte sich ein deutscher Irrer vorgenommen, die Russen einfach auszulöschen, womit auch dem roten Spuk ein Ende gesetzt worden wäre. Zuerst sah alles sehr hoffnungsvoll aus, es galt nur abzuwarten. Außerdem besagt der allseits bekannte Spruch: Wo zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Aber es ist anders gekommen als erwartet. Die von den Kommunisten angeblich geknechteten Russen wollten nicht „befreit“ werden, sondern sie haben für den Erhalt der kommunistischen Ordnung fast unmenschliche Opfer ergebracht. Außerdem hat sich erwiesen, dass die Erfolge der Sowjetunion doch nicht nur reine kommunistische Propaganda waren. Während Stalins Diktatur hat Russland den größten ökonomischen Aufschwung seiner Geschichte erlebt und konnte genug materielle Mittel schaffen, die größte Kriegsmaschinerie der ganzen bisherigen Geschichte zu stoppen. Nun trieb die Rote Armee die deutsche Wehrmacht immer weiter nach Westen und es sah bald alles danach aus, dass die Roten bald die atlantische Küste erreichen würden. Da mussten die amerikanischen Machteliten für die Verteidigung des sehr bedrohten Kapitalismus nolens volens etwas tun. Es gibt sogar Theorien, denen zufolge die amerikanische Regierung bzw. die Armeespitze Pearl Harbor absichtlich nicht vor dem japanischen Angriff geschützt hatte, nur um beim eigenen Volk eine Rechtfertigung zu haben, sich in den sehr weit entfernten europäischen Krieg einzumischen. Wie dem auch sei, sozusagen im letzten Augenblick, im Juni 1944, sind die Amerikaner mit großen Verlusten in der Normandie gelandet und haben in der Mitte Deutschlands der Roten Armee den Weg versperrt.

Nur dort wo amerikanische Soldaten den Boden betreten haben, konnte man den Kapitalismus noch retten, anderswo nicht mehr. Man könnte jetzt meinen, Entsprechendes lässt sich auf für die Rote Armee und den Kommunismus sagen. Aber das stimmt nicht ganz. Nicht nur dort, wo die Rote Armee durchmarschierte, haben sich die Völker für den Kommunismus entschieden. Der Kapitalismus war diskreditiert wie nie in seiner Geschichte. Die Völker hatten die kapitalistische Hölle - Armut, Massenarbeitslosigkeit und wiederkehrende Krisen - satt. Man kann sich nur wundern wie damals, als es kein Internet und kein Fernsehen gab und der Rundfunk gerade in den Windeln lag, die Ideen eines deutschen Philosophen und Ökonomen, der in England eher vegetierte als lebte, von Karl Marx, den hinterletzten Winkel der Erde erreichten. Sogar im weit entfernten China haben die Kommunisten dem Kapitalismus den Krieg erklärt. Aber bleiben wir in Europa. Das beste Beispiel, dass nicht die Rote Armee „auf den Bajonetten“ den Völkern den Kommunismus bringen musste, war der Kampf gegen den Kapitalismus im damaligen Jugoslawien. Die Kommunisten haben unter der Führung von Tito einen doppelten großartigen Sieg errungen: Gegen die deutsche Besatzung und gegen die eigenen Kapitalisten. Diesen erfolgreichen Kampf der jugoslawischen Partisanen kann man als eine kleinere Version des Langen Marsches der chinesischen Kommunisten sehen. Auf jeden Fall ist das mit nichts anderem zu vergleichen, was damals in Europa geschehen ist. Für uns ist jetzt aber nur die Tatsache wichtig, dass nach dem Zweiten Weltkrieg kommunistische und sozialistische Ordnungen überall auf der Welt aus dem Boden schossen wie Pilze nach dem Regen. Man kann sich das heute gar nicht vorstellen - genauso, wie man sich Holocaust nicht vorstellen kann.

Nun hatten die amerikanischen Streitkräfte den westlichen Teil Deutschlands besetzt und die Rote Arme konnte nicht weiter. Was die Verteidiger des Kapitalismus vorfanden, musste für sie erschreckend gewesen sein. Das Naziregime hatte zwar einen unvorstellbaren Hass auf den Kommunismus geschürt, aber sogar in der Partei Hitlers gab es Wort „sozialistisch“ und die Politik der Nazizeit beinhaltete eine Menge von dem, was ein Amerikaner als kommunistisches Teufelszeug bezeichnen würde. Den Kapitalismus wollten die Deutschen genauso wenig haben wie den Kommunismus. Was für eine Stimmung in der Westzone herrschte, verdeutlichen uns am besten die damaligen Aussagen der Politiker und ihrer Parteiprogramme. Man kann es heute kaum glauben, aber nach dem Krieg hat sich die CDU in der Tat als eine „große sozialistische Volkspartei“ verstanden und für einen „Sozialismus aus christlicher Verantwortung“ geworben.dorthin Die CDU war da keine Ausnahme. Ein Sekretär einer anderen Partei hat zum Beispiel gesagt:

„Die Mehrheit jener bedauernswerten und völlig unfreien Menschen, die um Sozialfürsorge nachsuchen müssen, sind ja nicht ehemalige Arbeiter und Angestellte, sondern ehemalige Selbständige, die dem altliberalen Ideal vom freien Mann im eigenen Betrieb huldigten.“

Daher, folgert er, ...

„... ist die Befreiung des Liberalismus aus seiner Klassengebundenheit und damit vom Kapitalismus die Voraussetzung seiner Zukunft.“ ... >

Nein, es handelt sich nicht um einen Sekretär einer sozialistischen oder kommunistischen Partei, sondern um Karl-Hermann Flach, den Generalsekretär der FDP. Als Flach dies geschrieben hat, hatte er womöglich die Schicksale von Klein- und Mittelbetrieben aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg im Hinterkopf. Er kannte die Folgen: Von den extremen Linken verschmäht und verfolgt und vom freien Markt ausgenutzt und verraten war es der deutsche Mittelstand, der damals Hitler den Weg zu Macht ebnete.

„Die Beziehungen zwischen den Nationalsozialisten und der deutschen Großindustrie sind viel diskutiert worden, besonders seit eine Reihe von Marxisten zu zeigen versuchte, daß die Bewegung von Anfang an „von der Großbourgeoisie, den Großgrundbesitzern, den Finanzleuten und Industriellen gefördert, genährt, erhalten und unterstützt wurde“. Die neuesten Untersuchungen lassen jedoch eher auf das Gegenteil schließen. ... Im Jahre 1932 war der idealtypische Wähler der Nationalsozialistischen Partei ein selbständiger protestantischer Angehöriger des Mittelstandes, der entweder auf einem Hof oder in einer kleinen Ortschaft lebte und der früher für eine Partei der politischen Mitte oder für eine regionale Partei gestimmt hatte, die sich der Macht und dem Einfluß von Großindustrie und Gewerkschaften widersetzte.“ ... >

Was hätte man damals mit dem besiegten Deutschland anfangen können? In der ganzen Geschichte galt immer Vae victis - Wehe den Besiegten. Nun war es aber den westlichen Siegermächten klar, was die Bestrafung der Deutschen gebracht hätte: Man hätte sie den Kommunisten in die Arme getrieben. Wie absurd es auch zu sein schien, - vor allem wenn man die grauenvollen Taten der Deutschen im Krieg berücksichtigt – so musste man diesmal die Besiegten so gut wie nur möglich zu behandeln. Es blieb nichts anderes übrig, als ihnen eine Art des sozialen Kapitalismus anzubieten. Auch der Militärgouverneur der amerikanischen Zone General Lucius D. Clay hat es so gesehen:

„These would certainly have been catastrophic for the whole Western World, if the Social Market Economy had failed.“ ... >

Die Frage hieß damals nicht ob, sondern nur wie man den Kapitalismus zu einem sozialen Kapitalismus machen konnte. Die gesamte geschichtliche Erfahrung zeigte, dass er nie sozial sein wollte. Daraus wurde auch klar, dass der Staat und die Gewerkschaften allein nie stark genug sind dafür zu sorgen, dass es der arbeitenden Bevölkerung gut geht. In einer freien Marktwirtschaft kann nur hohe Beschäftigung der Arbeiterklasse deren Los verbessern.  Arbeit wird eben nur dann besser bezahlt, wenn sie knapp wird. Sollen das Privateigentum und die Marktfreiheit nicht angetastet werden, ist die Lösung der Sozialen Frage nur durch Maßnahmen möglich, die mehr Beschäftigung bringen. Doch keine sich selbst überlassene Marktwirtschaft hat je Arbeitsplätze knapp gemacht. Die Hoffnung, durch Lohnsenkung würden die Reichen mehr investieren können und die Arbeitslosigkeit beseitigen, hat sich ebenfalls nie erfüllt. John M. Keynes meinte sogar bewiesen zu haben, dass gerade die Sparsamkeit die wichtigste Ursache der Arbeitslosigkeit sei, weil sie die Nachfrage vernichte. Davon konnte er damals die Amerikaner sogar überzeugen.

In Deutschland konnte Keynes dagegen nie richtig Fuß fassen, worum sich die Ordoliberalen große „Verdienste“ erworben haben. Sie haben sogar nie verschwiegen, dass es für sie kaum Wichtigeres gäbe als Keynes fernzuhalten - dazu kommen wir noch. Fügen wir jetzt nur noch dazu, dass sie dabei nicht so „erfolgreich“ gewesen wären, wenn - wie oben schon herausgestellt - die deutsche Philosophie und Geisteswissenschaft nicht schon immer so unempirisch und hochtrabend gewesen wäre. Dort wo das Denken einen festen Bezug zu den empirischen Tatsachen hat, wie im angelsächsischen Raum, konnte sich die  nachfrageorientierte ökonomische Theorie von Keynes und die daraus abgeleitete Praxis durchsetzen. Was sieht nämlich jemand, der die kapitalistische Wirtschaft mit offenen Augen beobachtet? Henry George, ein bekannter amerikanischer sozialer Ökonom und Reformator des 19. Jahrhunderts hat es sehr griffig auf den Punkt gebracht:

„Gebt uns nur einen Markt“, sagen die Fabrikanten, „und wir werden euch Waren ohne Ende schaffen!“ ... >

Die deutsche Wirtschaft brauchte nach dem Zweiten Krieg eigentlich nur Absatzmärkte. Für alles Andere konnte sie selbst sorgen. Die nötigen Produktionskapazitäten waren nämlich vorhanden, sie waren während des zweiten deutschen Wirtschaftswunders geschaffen und durch die amerikanischen Bombardierungen nicht wesentlich beschädigt worden. Der Schwerpunkt der alliierten Luftangriffe lag seit März 1942 nicht mehr auf der Industrie, sondern auf dem Transportsystem und Flächenbombardements von Wohngebieten. Der deutschen Wirtschaft fehlten nach dem Krieg hauptsächlich Infrastruktur und die Transportkapazitäten um Rohstoffe zu den Produktionsanlagen zu bringen. Wir haben dazu schon mehr gesagt.dorthin Als kurze Zusammenfassung dessen benutzen wir ein Zitat des bekannten britischen Historikers Tony Judt:

„Grundlage des deutschen „Wirtschaftwunders“ der fünfziger Jahre war die wirtschaftliche Gesundung der dreißiger Jahre. Die Investitionen der Nationalsozialisten - in Fernmeldewesen, Rüstungs- und Kfz-Industrie, optische, chemische und feinmechanische Industrie sowie Nichteisenmetalle - sollten die Wirtschaft auf den Krieg ausrichten, doch ihr Nutzen zeigte sich zwanzig Jahre später. Die soziale Marktwirtschaft von Ludwig Ehrhard hatte ihre Wurzeln in der Politik von Albert Speer - viele der jungen Manager und Planer, die nach dem Krieg in Westdeutschland in hohe Positionen von Wirtschaft und Politik aufstiegen, begannen ihren beruflichen Werdegang unter Hitler; sie brachten in die Ausschüsse, Planungsbehörden und Firmen der Bundesrepublik die Strategien und Praktiken ein, die von den NS-Bürokraten bevorzugt worden waren.“ ... >

Infrastruktur und Transportkapazitäten ließen sich schnell wiederherstellen, und mit dem Marschallplan wurde es der Wirtschaft sehr bald möglich, sich mit Rohstoffen aus aller Welt zu versorgen. Als zugleich die Amerikaner Tür und Tor für die deutschen Exporte öffneten, stand dem blitzschnellen Voranschreiten der Wirtschaft nichts mehr im Wege. Sie haben also das Problem des Nachfragemangels für die deutsche Wirtschaft gelöst. Um den deutschen Export weiter anzuschieben, also den deutschen Firmen noch mehr Nachfrage zur Verfügung zu stellen, hat man auch noch die neue DM gegenüber dem Dollar um 20 v. H. abgewertet. Mit diesem Schritt begann eine bis 1961 andauernde Periode der Unterbewertung der deutschen Währung. Die starke Deutsche Mark ist ein Mythos, oder eine Lüge - wie man's nimmt.

Wir fassen kurz zusammen: Es ist eine Lebenslüge der realitätsfremden deutschen Liberalen bzw. Ordoliberalen, dass das deutsche Wirtschaftswunder ein Beweis dafür sei, die freie Marktwirtschaft sei sowohl stabil als auch sozial. Dieses Wirtschaftswunder war vor allem eine politische Geburt, an deren Wiege die Amerikaner mit ihrer geschenkten Nachfrage standen. Sie haben auch den Japanern eine Menge Nachfrage geschenkt, so dass man ironischerweise feststellen kann, diese beiden verspätet im Kapitalismus angekommenen Länder haben als Besiegte das bekommen, was sie durch den Sieg im von ihnen angezettelten Weltkrieg erhofft haben zu erreichen.

Lebenslüge 2: Der „Aufbau Ost“ als Erfolg der Rezepte der Sozialen Marktwirtschaft

Eine eindeutige Definition der „Sozialen Marktwirtschaft“ gibt es nicht. Eigentlich haben nicht einmal alle Ordoliberalen diesen Begriff akzeptiert. Röpke sowieso nicht, er sprach zuerst vom Dritten Weg, aber er distanzierte sich auch davon später immer mehr. Als dann das (dritte) deutsche Wirtschaftswunder begann, hat man einfach gesagt, dies sei die Soziale Marktwirtschaft. So auch Röpke, demzufolge das deutsche Wirtschaftswunder Folgendes bedeuten soll:

„Wenn von einem Wunder gesprochen werden kann, so lag es vielmehr allein darin, daß es in diesem bestimmten Lande, das vom Kriege buchstäblich zermalmt war, und in einer noch immer im Banne von Inflation und Kollektivismus stehenden Welt politisch und sozial möglich gewesen ist, zur wirtschaftlichen Vernunft der Marktwirtschaft und monetären Disziplin zurückkehren.“ ... >

Es ist kaum zu fassen, was Röpke da von sich gibt. Dieser Mensch müsste es nämlich aus eigener Erfahrung besser wissen. Aus ihm spricht jedoch die Realitätsverweigerung eines ideologisch völlig verblendeten Marktfanatikers. Wie schon gesagt war nach dem Krieg nichts „zermalmt“, sondern der Wirtschaft der jungen Bundesrepublik sind die gewaltigen Produktionskapazitäten aus der Nazizeit sozusagen in den Schoß gefallen. Lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf die Aussagen die behaupten, der deutsche Aufschwung habe mit der „monetären Disziplin“ zu tun. Röpke meint damit eine erfolgreiche Bekämpfung der Inflation mit restriktiver Geldpolitik. Es mag vielleicht nahe liegen, die Inflation als eine kollektivistische Verschwörung zu sehen, doch die deutsche Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg war das ganz bestimmt nicht und die Weimarer Republik ging nicht wegen der Inflation zugrunde. Als die deutschen Machteliten Hitler die Macht schenkten, war die Inflation schon längst besiegt. Stattdessen herrschte die von Brüning angeordnete Deflation, durch die die Arbeitslosigkeit nach oben schoss. Bis dahin war Röpke noch in Deutschland und konnte das unmöglich nicht mitbekommen haben. Recht hat er damit, dass sich Hitler über die von ihm als der Weisheit letzter Schluss so hoch gepriesene „monetäre Disziplin“ lustig machte und in der Praxis nichts davon hielt:

„Ich habe mich in diesen Jahren nicht mit den Finanzleuten geärgert. Ich habe niemals mit Schacht mich unterhalten darüber, welche Mittel nun endgültig bewilligt werden. Ich habe ihm gesagt: Diese Mittel sind notwendig. Hat die deutsche Mark bisher gelitten? ... Von fünf Milliarden sind wir auf 24 Milliarden gekommen, ohne Preisänderungen und ohne Geldentwertung.
... Niemals konnte mir einer sagen, er wollte etwas schaffen, er habe aber die Gelder nicht bekommen.“ ... >

Erinnern wir noch daran, wie es Hitler in nur wenigen gelang, was zwei Jahrzehnte hindurch den ökonomischen „Experten“ und „Wissenschaftlern“ à la Röpke nicht gelungen ist: die Arbeitslosigkeit völlig zu beseitigen und neben der sprichwörtlichen „Butter“ zugleich auch so viel „Kanonen“ herzustellen, dass er nach wenigen weiteren Jahren der ganzen Welt den Krieg erklären konnte. Nichts davon ist also richtig, was Röpke von sich gibt. Er verbreitet gegen besseres Wissen Unwahrheiten, dass sich die Balken biegen. Die Tatsachen passen in der Tat überhaupt nicht in sein ideologisch deformiertes Denken, in dem die erfolgreiche Marktwirtschaft nichts anderes brauchen würde als freie private Konkurrenz und strenge monetäre Disziplin, weil sie sonst in einer wilden Inflation versinken würde. Hitler hat durch seine Ausgaben keine Inflation verursacht, weder zukünftige, noch „zurückgestaute“ (Röpke), noch irgendwelche andere, so wie auch die Geldflut für die Rettung der Banken nach der sogenannten Finanzkrise im Herbst 2008 keine wilde Inflation verursacht hat.

Mit seiner inhaltsleeren Auffassung darüber, was die neue Marktordnung bzw. die Soziale Marktwirtschaft sein sollte, war Röpke keinesfalls allein. Alfred Müller-Armack, der als erster das Wort „Soziale“ groß schrieb, so dass man manchmal gerade ihm die Erfindung der Bezeichnung Soziale Marktwirtschaft zuschreibt, definiert sie wie folgt:

„Die Soziale Marktwirtschaft geht von der Feststellung aus, daß wir in den Marktkräften als solchen ein klares Fundament unseres historischen Handelns sehen, das wir nicht beseitigen können, daß wir aber in der Lage sind, diesen Marktkräften eine Ordnung zu geben, in der eine bestimmte gesamtwirtschaftlich zu erstrebende Richtung erreicht wird. Nichts anders ist geschehen bei der deutschen Währungsreform von 1948. ... Es war also eine Option zugunsten der vorhandenen Kräfte des Wettbewerbs, aber gleichzeitig ein Stück wettbewerblichen Ordnungsrahmens.“ ... >

Die Soziale Marktwirtschaft soll nichts Weiter als das Ergebnis der Währungsreform sein? Aber was hat eine Währungsreform mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu tun? Sie ist eine einmalige Maßnahme, zu der man schon seit langer Zeit, in der Regel immer nach Kriegen und politischen Umwälzungen, gegriffen hat, um das Geld in den Dienst der neuen Herren zu stellen. Auch die Kommunisten haben dort wo sie siegten bekanntlich immer eine Währungsreform eingeleitet. Wie kann so etwas ein Merkmal der Sozialen Marktwirtschaft sein? Auch an dieser Auffassung sieht man, wie inhaltsarm der ganze Ordoliberalismus war und welch enorme Schwierigkeiten er hatte, wenigstens seinen Hauptbegriff zu definieren. Man könnte sich aber auch denken, dass die deutschen Ordoliberalen zumindest herausgefunden haben, wie man eine Währungsreform richtig durchführen kann, die der ganzen Wirtschaft nicht nur zum nachhaltigen Aufschwung verhilft, sondern sie dann auch weiter problemlos laufen lässt. Das wäre in der Tat eine großartige Leistung, aber diese Vermutung kann aus mehreren Gründen nicht stimmen.

Wir haben schon erwähnt, dass die deutsche Währungsreform von den Amerikanern vorbereitet und durchgeführt wurde, indem man dem neuen deutschen Geld zuerst mit dem Marshallplan eine glaubwürdige und akzeptable reale Grundlage schuf. Die Deutschen haben bei der Währungsreform nur das durchgeführt, was sich die Amerikaner davor ausgedacht und vorbereitet haben. Adenauer, zu dieser Zeit Präsident des Parlamentarischen Rates, hat das auf den Punkt gebracht: „Wir sind keine Mandanten des deutschen Volkes, wir haben den Auftrag von den Alliierten“. Und es war ganz und gar nicht so, dass die neue DM sofort gut angekommen wäre. Ja, man musste bei der Durchsetzung der Währungsreform in der Tat auf die Mitwirkung der alliierten Truppen setzen. Was bedeutete die Währungsreform nämlich in der Praxis? Bei der Einführung der neuen Währung blieb der Besitz an Aktien und Sachwerten, also das was die Reichsten hatten, unangetastet. Natürlich war damit auch das Geld der Reichen und Reichsten weg, aber die Sachwerte, sowohl privater Reichtum als auch das Eigentum an den Produktionsmitteln, sind ihnen geblieben. Die Ersparnisse der kleinen Leute wurden aber buchstäblich mit einem Federstrich vernichtet. Es kam zu Aufständen, sogar zum Generalstreik im Winter 1948: Erhard bat die Alliierten um Hilfe und die ließen Panzer auffahren. Ein solches Argument überzeugt - fast immer.

Die deutsche Währungsreform nach dem Krieg war also eine Enteignung der Mittelschicht. Als Trost bleibt, dass zu dieser nicht viele Menschen gehörten. Der großen Mehrheit, die durch den Krieg wirklich alles verloren hatte, konnte man natürlich nichts wegnehmen. Die konnten sich dafür auf ein Taschengeld freuen. Ihre durch die Bombardierungen zerstörten Häuser waren allerdings ein großes Potenzial für die zukünftige Nachfrage und eine weitere günstige Voraussetzung für das deutsche Wirtschaftswunder. Nebenbei bemerkt, so wie die Währungsreform ein Diktat der Besatzungsmächte war, war es auch das Grundgesetz. In dessen Präambel wurde eingetragen, dass „sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben hat“, tatsächlich hat das deutsche Volk nie seinen Willen äußern können und hat schon gar nicht seine Zustimmung zum Grundgesetz gegeben. Und da sich das bis heute nicht geändert hat, ist die deutsche Verfassung im Grunde eine, die wie keine andere vor dem demokratischen Zugriff des Souveräns geschützt ist.

Wäre die Währungsreform tatsächlich Grundlage und Ursache des Wirtschaftswunders, dann hätte sie nach der Wiedervereinigung auch die ehemalige DDR in „blühende Landschaften“ verwandeln müssen. Genau das wurde auch versprochen. Heute wissen wir, was daraus wurde. Zehn Jahre nach der Wende zählte die Europäische Union die ostdeutschen Länder zu den ärmsten Regionen Europas. Innerhalb von fünf Jahren - 1990 bis 1995 - wurden drei Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Die Verwendung der marktliberalen Strategie, wie man in dieser Zeit schon längst den Ordoliberalismus verstand, hat nur deshalb nicht die gleichen Ergebnisse gebracht wie zum Beispiel in Russland, also Verwüstung und Verfall in allen Bereichen, weil das drohende Desaster des neoliberalen Experiments mit der Plünderung der westdeutschen Sozial- und Rentenkassen abgewendet und Gesamtdeutschland aufgebürdet wurde.

Das Produktivvermögen der ehemaligen DDR ging im Zuge der Privatisierung nur zu 5% an Ostdeutsche, 10% an Ausländer und zu sage und schreibe 85% Westdeutsche. Darüber, mit welcher Kriminalität die „blühenden Landschaften“ in den neuen Bundesländern erschaffen wurden, beschreibt M. Jürgs ausführlich im Buch Die Treuhänder, mit dem Untertitel Wie Helden und Halunken die DDR verkauften. Wir u im Folgenden Zitate aus dem Buch von Siegfried Wenzel Was war die DDR wert? Dort ist das Wesentliche der Wiedervereinigung folgendermaßen zusammengefasst:

„Der natürliche Absatzmarkt eines großen Teils der Betriebe der DDR, d.h. die Versorgung von 16,5 Millionen Menschen dieses Gebietes wurde von den aufgrund der gesamten geschichtlichen Entwicklung wesentlich potenteren westdeutschen Konzernen, Kaufhausketten, Banken, Versicherungsgesellschaften u. a. ungehindert und ungesteuert besetzt und in einem beispiellosen Verdrängungswettbewerb übernommen. Die Inbesitznahme eines solchen Marktes von heute auf morgen war bisher nur nach gewonnenen Kriegen oder Eroberung von Kolonien möglich.
Dieser Prozeß war verbunden mit einer Deindustrialisierung, wie es sie in der Neuzeit in vergleichbarem Ausmaß nicht gegeben hat. Was übriggeblieben - „erhalten“ worden - ist, war und ist immer noch im wesentlichen eine „Filialökonomie“ westdeutscher Mutterhäuser.“ ... >

Einfach ausgedrückt vollzog sich die Privatisierung fast in jedem Fall im Stil einer „feindlichen Übernahme“. Hätte sich das vermeiden lassen? Theoretisch schon, aber nachdem man durch die „Währungsreform“, also durch den Umtausch der ostdeutschen Mark in westdeutsche nach dem Kurs 1:1 vollzogen hatte auf keinen Fall mehr. Die ostdeutschen Betriebe hatten nicht die geringste Chance sich zu halten, da ihre reale Produktivität zwischen einem Drittel und der Hälfte der westdeutschen lag. Außerdem waren diese Betriebe auf die Gesetzen der DDR ausgerichtet, so dass sie nach der Währungsreform alle schnell untergingen. Die Produktionsmittel und Technologien, die eigentlich viel produktiver waren als die vieler anderer Länder der Welt mussten buchstäblich „verschrottet“ werden.

Die Zeit der Wiedervereinigung wurde auch dazu genutzt, den lästigen Gewerkschaften einen schweren Schlag zu versetzen. Für die westdeutschen Politiker, die den Gewinn der ersten gesamtdeutschen Wahlen anvisiert hatten, war es natürlich leicht, den Bürgern der ehemaligen DDR, die von Marktwirtschaft nichts verstanden, einen Währungsumtausch im Verhältnis 1:1 schmackhaft zu machen. In diesem Fall hätten auch die moderatesten Lohnforderungen nichts retten können. Doch es kam noch schlimmer. Westdeutsche Gewerkschafter gingen für Ostdeutsche in die Verhandlungen mit westdeutschen Arbeitgebern und verfuhren, wie sie es gewohnt waren. Nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Ostens häufte man von interessierter Seite alle Schuld auf die Gewerkschaften und ihre „überzogenen Lohnforderungen“ und „mangelnde Flexibilität“. Man hätte ja den Ostdeutschen jede Menge Arbeit geben können, hätte sich die Vertretung der Arbeiterschaft nur noch so quergestellt. Dies sei ein weiterer Beleg dafür, dass Gewerkschaften der arbeitenden Bevölkerung nicht nutzen, sondern schaden.

Es ist angebracht nicht unerwähnt zu lassen, dass man die ostdeutschen Betriebe auch nicht retten wollte. Mit ihnen hätte man der ostdeutschen Elite eine ökonomische Grundlage belassen, aber diese wollte man vernichten. Die Elite aus der kommunistischen Zeit sollte auf dem „Friedhof der Aristokratien“ landen - wie es Pareto anschaulich formulierte. Und je mehr man vernichtet hatte, desto mehr „Beweise“ gab es, wie „marode“ die sozialistische Wirtschaft war. Es ging darum, den Sozialismus so stark wie möglich zu diskreditieren. Und das konnte der Markt mit der gemeinsamen Währung dann problemlos allein erledigen:

„Gerade hier auf die Gesetze des Marktes zu setzen, war entweder Dummheit oder verschlagenes Kalkül oder einfach Lobby-Arbeit für die westdeutsche Wirtschaft.“ ... >

Wenn man aber bedenkt, dass im Kapitalismus nur ein paar von Hundert, oder gar Tausend, reich sein können, könnte man zynisch bemerken, dass es der überwältigenden Mehrheit der Ostdeutschen gleich sein konnte, wer sich das Volkseigentum unter den Nagel riss: Ob einer von deutschem Blut aus Frankfurt am Main oder an der Oder. Auch das Geld, das in die neuen Länder floss, haben sich zum Großteil Westdeutsche in die Taschen gestopft. Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Henning Voscherau beschrieb diese Tatsache am Jahresende 1996 so: „In Wahrheit waren fünf Jahre Aufbau Ost das größte Bereicherungsprogramm für Westdeutsche, das es je gegeben hat“. Der damalige Wirtschaftsminister Mecklenburg-Vorpommerns, Harald Ringstorff, hatte Anfang April 1996 festgestellt, dass die Geldflüsse in die ostdeutsche Wirtschaft zu 80% letztlich bei Unternehmen und Unternehmern im Westen ankamen. Wir lassen aber jetzt diese Umverteilung von Osten nach Westen beiseite und gehen der der Frage nach, was rein ökonomisch gesehen die Transferleistungen und Subventionen in die neuen Länder für die ostdeutsche und was für die westdeutsche Wirtschaft bedeuteten.

Ein Teil des Geldes, das (zunächst) vom Westen in den Osten floss stammt aus der Plünderung der westlichen Sozial- und Rentenkassen. Diese Mittel wären sonst eingefroren geblieben, aber als man sie in die Hand nahm, um die neu entstehende Armut und ein bis dato ungekanntes Ausmaß an Sozialtransfers zu finanzieren, wurde aus diesem Geld eine sofort wirksame Nachfrage nach Konsumgütern. Wenn man bedenkt, dass die Ostdeutschen geradezu verrückt nach westlichen Markenwaren waren, war es klar, wer von dieser Nachfrage profitieren würde. Die Marktwirtschaft schaffte es zwar nicht, Bananen zu produzieren, aber sehr wohl sie zu vermarkten.

Eine andere, noch viel wichtigere Quelle der Geldflut auf dem neuen deutschen Markt waren die Subventionen. Die westdeutsche Firmen haben ostdeutsche Betriebe und ganze Kombinate nicht nur für ein Trinkgeld bekommen, sondern als Mitgift auch noch reichlich Subventionen dazu. Verdeutlichen wir mit ein paar Beispielen, was für Brocken es waren:

„Im Jahre 1991 übernahm Carl Zeiss Oberkochen für 1 DM 51 % des Kapitals und die unternehmerische Führung der Carl Zeiss Jena GmbH und erhielt dafür 587 Mio DM „Starthilfe“. ... Die restlichen 49% übernahm Zeiss Oberkochen 1995 von der damals noch landeseigenen Jenoptik ebenfalls für 1 DM ... 1991 verpflichtete sich Zeiss zur Übernahme von 2950 Beschäftigten, 1998 waren es noch ca. 1500.
Ein Paradebeispiel machte über Jahre Furore und deckte immer neue, in einem zivilisierten Land nicht für möglich gehaltene Seiten krimineller Energie und beamtenmäßiger Vertuschung auf: 1992 bzw. 1993 übernahm die Bremer Vulkan Verbund AG die MTW Meerestechnik Schiffswerft Wismar, die Volkswerft Stralsund, die Neptun Industrie Technik Rostock und das Dieselmotorenwerk Rostock. Dafür flossen Zahlungen der Treuhandanstalt in Höhe von insgesamt 3472,8 Mio. DM an den Verbund. Inzwischen ist der Verbund in den Konkurs gegangen. Im Rahmen des sogenannten »zentralen Cash-Managements« waren 854 Mio. DM aus den für die ostdeutschen Werften bestimmten Beihilfen in den westdeutschen Teil der Vulkan geflossen. Dieses Geld ist mangels Konkursmasse unwiderruflich verloren.
Im Jahre 1993 übernahm die BASF-Tochter Kali & Salz AG die Mehrheitsbeteiligung (51%) und die Geschäftsführung der Mitteldeutschen Kali AG (MDK); die BvS behielt 49% der Anteile. ... Die THA leistete eine Bareinlage von 1044 Mio. DM für Investitionen, Reparaturen und Planverluste der Jahre 1993-1997. Weitere 270 Mio. DM wurden für die „Bereinigung der Bilanz der MDK“ gezahlt ... Die EU hatte 1993 insgesamt Beihilfen der THA in Höhe von 1,5 Mrd. DM genehmigt.
Ein weiterer Fall - der „Spiegel“ spricht von einem „offenbar generalstabsmäßig geplanten Wirtschaftskrimi“ - ist die Werkstoff-Union GmbH Lippendorf bei Leipzig. Das Unternehmen wurde ... mit dem Ziel gegründet, Europas modernstes Metallverarbeitungswerk zu errichten. Im März 1996 wurde Antrag auf Gesamtvollstreckung gestellt. Inzwischen waren 225 Mio. DM staatliche Beihilfen in Form von Fördermitteln und Bürgschaften geflossen. Der „Spiegel“ spricht von 336 Mio. DM, die die Staatsanwaltschaft Leipzig sucht, wobei sie davon ausgeht, daß der Investor nie vorgehabt hat, die Werkstoff-Union in Betrieb zu nehmen.“ ... >

Und was war das Ergebnis der Subventionen, von denen die anderen postkommunistischen Länder nur träumen konnten, für die ostdeutsche Wirtschaft?

„In keinem staatssozialistischen Land gibt es trotz wesentlich ungünstigerer Voraussetzungen bei der Transformation in die Marktwirtschaft einen solchen Absturz der Produktion und einen solch hohen Anteil von Arbeitslosen wie in den neuen Bundesländern.“ ... >

In keinem staatssozialistischen Land gibt es trotz wesentlich ungünstigerer Voraussetzungen bei der Transformation in die Marktwirtschaft einen solchen Absturz der Produktion und einen solch hohen Anteil von Arbeitslosen wie in den neuen Bundesländern

„1993 schrieb der Präsident des DIW, Lutz Hoffmann: „Da die Transferzahlungen überwiegend durch Verschuldung des Staates finanziert wurden und in Form von Käufen bei westdeutschen Unternehmen weitgehend wieder nach Westdeutschland zurückfließen, hatte der Aufbau dieses Transferprogramms die Wirkung eines gewaltigen Keynesianischen Konjunkturprogramms, das der westdeutschen Wirtschaft in der Phase eines weltweiten Konjunkturrückgangs überdurchschnittlich hohe Wachstumsraten bescherte.“ ... >

Schon wenige Daten reichen, sich eine Vorstellung davon zu machen, wie erfolgreich diese Keynesianische Wirtschaftspolitik war:

„Im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion zu den innerdeutschen Transferleistungen stellt die Deutsche Bank Research im September 1996 fest, „... daß die westdeutsche Wirtschaft insbesondere in den Jahren 1990 bis 1992 stark von der Maueröffnung und der deutschen Vereinigung profitieren konnte. Der transferfinanzierte Einigungsboom bescherte den alten Bundesländern im Durchschnitt dieser Jahre eine reale Wachstumsrate von gut 4% ... Das starke Wachstum in den alten Bundesländern trug wesentlich dazu bei, daß sich die Anzahl der Erwerbstätigen in Westdeutschland im Zeitraum 1990/1992 um fast 1,8 Mio. erhöhte.
Im Jahresarbeitsmarktbericht Ostdeutschland 1995/96 der SPD-Bundestagsfraktion heißt es: „Allein die westdeutschen Lieferungen nach Ostdeutschland haben 1994 eine zusätzliche Produktion bzw. Beschäftigung in den westdeutschen Ländern in einer Größenordnung von 5-7% des Bruttoinlandsproduktes bzw. 1,4 bis 1,9 Millionen Arbeitsplätze gesichert.
Die westdeutschen Unternehmen profitierten also vom ostdeutschen Markt. Der konjunkturelle Abschwung in Westdeutschland (BIP-Wachstum gegenüber dem Vorjahr 1992: + 1,8%, 1993: -2,0%, 1994: + 3,4%) wäre ohne diese Lieferungen noch stärker ausgefallen.
Im Oktober 1996 legte das Institut für Wirtschaftsforschung Halle eine bemerkenswerte Berechnung über die Höhe des westdeutschen „Vereinigungsgewinns“ vor: „Die gesamtwirtschaftliche Produktion in Westdeutschland hat nach der deutschen Vereinigung einen deutlichen Niveauschub erzielt; dieser kann auf eine Größenordnung von nominal rd. 200 Mrd. DM im Jahr veranschlagt werden. ... Im Jahre 1997 wird das westdeutsche Bruttoinlandprodukt um rund 7% über dem Wert liegen, der sich bei Fortschreibung der Trends 1979/89 ergeben hätte. Dies ist in wirtschaftlicher Betrachtung der Vereinigungsgewinn für Westdeutschland. Der Vereinigungsgewinn übersteigt die Transferzahlungen, die Westdeutschland zugunsten Ostdeutschlands leistet (Größenordnung 150 Mrd. DM).“ ... >

Die Aussage, dass das „gewaltige Transferprogramm die Wirkung eines gewaltigen Keynesianischen Konjunkturprogramms hatte“, ist für deutsche Verhältnisse schon ein Wagnis. Sie ist aber immer noch eine ziemlich vorsichtige Formulierung dessen, was geschehen ist. Das „gewaltige Transferprogramm“ hatte nicht nur die „Wirkung“ eines keynesianischen Konjunkturprogramms, sondern es war tatsächlich eins. Nur im sozialen Sinne war es nicht keynesianisch. Das deficit spendig bei Keynes hatte letztendlich die „Euthanasie des Rentiers“ zum Ziel, doch die in Deutschland durchgeführte „Euthanasie der Rentner“, welche die Subventionen zur „Rettung“ der „maroden“ ostdeutschen Wirtschaft finanzierte, diente in erster Linie der Bereicherung der Reichen aus Westdeutschland. Sie hat nur insoweit dem Rest des Volkes genützt, wie neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Im Wesentlichen ging es nur um die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben, sogar um die Umverteilung des Einkommens der ungeborenen Generationen. Was die Reichen Westdeutschlands dem Staat genommen haben und in ihre Taschen steckten, werden zukünftige Steuerzahler mit Zinsen zurückzahlen müssen. Und dieser Raubzug ließ sich obendrein noch zur Delegitimierung der sozialistischen Wirtschaftsform ideologisch ausnutzen. War das alles aber wirklich eine Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, wie sie gemäß den Ideen der Ordoliberalen erfolgen müsste?

Zu Beginn dieses Prozesses gab es eine Währungsreform, aber das ist so ziemlich alles, was sich in Zusammenhang mit der ordoliberalen Theorie bringen lässt. Und auch das betrifft lediglich die Oberfläche dessen, was die Ordoliberalen unter einer Währungsreform verstanden haben. Die Währungsreform bedeutete für die Ordoliberalen ein richtiges „Geldsystem“ (Eucken), dessen wichtigstes Merkmal die „monetäre Disziplin“ (Röpke) ist. Mit Disziplin oder Strenge meinten sie zum einen eine „stabile“ Währung, also eine restriktive Geldpolitik und zum anderen eine „solide“ Haushaltspolitik. Bei der „Sanierung“ der ostdeutschen Wirtschaft hat sich am Geldsystem überhaupt nichts geändert, deshalb werden wir über die geldtheoretische Auffassung der Ordoliberalen später noch etwas sagen. Wie „solide“ war nun die Wiedervereinigung finanziert?

Unter einer „soliden“ Haushaltspolitik versteht man, dass der Staat nicht mehr ausgeben darf als er einnimmt. Die sogenannte „Schuldenbremse“ ist der Weisheit letzter Schluss dieser Auffassung. In diesem Sinne war die „Sanierung“ der ostdeutschen Wirtschaft durch Transferleistungen ganz und gar nicht „solide“, sie entsprach keiner „monetären Disziplin“. Ein Teil der Transferleistungen ging natürlich in die Renten- und Sozialsysteme der neuen Länder. Das ist der soziale Aspekt der Wiedervereinigung, den niemand bestreiten kann, aber mit dem ordoliberalen Fachbegriff Soziale Marktwirtschaft hat das dann doch sehr wenig zu tun. Eigentlich war es gar nicht wirklich sozial, weil der neue Reichtum als Staatsschulden von den Steuerzahler zurückgezahlt werden muss. Es wäre sozial, wenn man die Kosten der Wiedervereinigung als keynesianisches deficit spendig überhaupt nicht zurückzahlen müsste. Aber so etwas käme auch für keinen Ordoliberalen in Frage. Deshalb waren sie alle verbitterte Gegner von Keynes - dazu kommen wir auch noch.

Lebenslüge 3: Agenda 2010 als späte Bestätigung der Weimarer Reformen

Kritik! Kritik! Kritik! Das war die Hauptbeschäftigung der Ordoliberalen. Weil sie allgemein und unbestimmt war, sagt sie wenig darüber aus, was man mit ihr eigentlich bezwecken wollte und schon gar nicht lassen sich aus ihr irgendwelche klaren theoretischen Positionen entnehmen. Über die Weltsicht der Ordoliberalen lässt sich viel mehr herausfinden, wenn man sich darüber klar wird, was sie so gut wie nie kritisiert haben. Man kann das zwei Bereichen zuordnen:

Sie haben keine Prinzipien des freien Marktes kritisiert.           

Sie haben die Praxis der Weimarer Zeit nicht kritisiert.

Wir werden bei den Ordoliberalen also keine Erklärung dafür finden, warum Deutschland in der Weimarer Zeit immer tiefer in der Krise versank. Darüber konnten die Ordoliberalen auch deshalb nicht reden, weil Konjunkturbewegungen für sie kein Thema waren, geschweige denn, dass sie sich vorgenommen hätten, die zyklischen Krisen des Kapitalismus zu untersuchen und zu erklären. Röpke, der seit dem Tode Euckens als Haupt der Ordoliberalen angesehen wurde, hat der Konjunkturtheorie in seiner Lehre von der Wirtschaft keinen eigenen Abschnitt gewidmet, nur im achten Kapitel palavert er ganz allgemein von den Störungen des wirtschaftlichen Gleichgewichtes. Noch mehr verharmlosen geht nicht, ohne die konjunkturellen Probleme der Marktwirtschaft schlicht zu leugnen. Was die Wirtschaftskrisen des Kapitalismus betrifft, unterscheiden sich Röpke und auch die anderen Ordoliberalen kaum von den Neoliberalen, in deren mathematisch hochkomplizierten Gleichgewichtsmodellen keine ökonomische Krise möglich ist. Was kann man aber tun, wenn in der Realität das auftritt, was in der Theorie unmöglich ist?

Genau das war der Fall, nachdem man die ehemalige DDR „saniert“ hatte. Irgendwann gab es nichts mehr zu plündern und die gewaltigen Geldströme, die den westdeutschen Betrieben die Nachfrage zuspülten, versiegten. Das bedeutete auch das Ende des Wachstums der deutschen - hauptsächlich der westdeutschen - Wirtschaft. Aus den neuen Bundesländern sind „blühende Landschaften“ entstanden, aber im direkten Sinne des Wortes: Dort wo man früher Industrie und Arbeitsplätze hatte, breitete sich die grünende Natur aus. Nur vom Standpunkt der westlichen Wirtschaft sah es anders aus. Damals haben viele europäische Nachbarn wieder einmal die deutsche Wirtschaft bewundert. Den anderen Volkswirtschaften, die keine „Sanierung“ einer postkommunistischen Wirtschaft bewältigen mussten, ging es schon damals nicht besonders gut. Vom Goldenen Zeitalter des Kapitalismus war man schon weit entfernt. Aber auch der deutsche Boom ging nun zu Ende. Die alten Meister waren tot, sie haben aber eine neue Generation von deutschen Ökonomen geschult. Wie könnte sich diese den Abschwung nach der „Sanierung“ der ostdeutschen Wirtschaft erklären?

Wenn man den keynesianischen Charakter des „Aufbaus Ost“ leugnet, hat man auch keine Erklärung, warum sich nach der Zeit der „Sanierung“ der Aufschwung nicht fortsetzte, sondern alles bergab ging. Nebenbei bemerkt zeigte die freie Marktwirtschaft auch hier ihre typischen Merkmale: Nach Kriegen und Naturkatastrophen erlebte der Kapitalismus schon immer einen starken Aufschwung. Doch kaum sind alle Schäden beseitigt und es erst richtig vorwärts gehen könnte, gerät er in die Krise. Dass die neue Generation der deutschen Ökonomen diese typischen empirischen Merkmale der Marktwirtschaft nicht richtig wahrnehmen konnte, ist auch eine Folge der ordoliberalen Theorie, mit der sie aufgewachsen ist. Die gegenwärtige Generation der deutschen Ökonomen konnte von den Ordoliberalen nur erfahren, dass es am Anfang der Weimarer Zeit eine Hyperinflation gab, die eigentlich mehr oder weniger die einzige Ursache für alles wäre, was danach folgte und schließlich mit der „Machtergreifung“ endete. Wen wundert es, dass diese Generation leichte Beute der Neoliberalen wurde und alle Fehler der Weimarer Zeit zu wiederholen begann. Die Nachfolger der Ordoliberalen wussten nicht, dass Lohndumping, Sozialdumping, Steuersenkungen usw. damals die Wirtschaft und die Demokratie ruinierte, so dass sie das alte neoliberale Gerümpel als etwas völlig Neues und Originelles für sich entdeckten. Dem  verhalfen die Sozialdemokraten unter dem Kanzler Schröder zum Durchbruch. Zuerst wollten ihre „Reformen“, wie man sagte, noch nicht „wirken“, aber bald, nach der Einführung des Euro und nach der Finanzkrise im Herbst 2008 hat sich ihre Richtigkeit angeblich „bestätigt“. Diese „Richtigkeit“ und der „Erfolg“ der marktradikalen „Reformen“ ist die dritte Lebenslüge der deutschen Ökonomen. Was ist geschehen?

Ein Land mit monetärer Souveränität kann seinen Binnenmarkt vor einer anderen Volkswirtschaft schützen, die einfach nur produktiver ist oder auch böswillig Preisdumping betreibt, indem die eigene Währung entwertet wird. Nun sind die Länder, die den Euro eingeführt haben nicht mehr monetär souverän. Wenn dann ein Land mit Lohn-, Steuer- oder Sozialdumping die eigenen Preise senkt oder sie zumindest unter der durchschnittlichen Preissteigerung des Währungsraumes hält, dann kann sich kein Land mehr dagegen wehren. So hat Deutschland durch Lohndumping bzw. durch Exportüberschüsse seine Nachfrageprobleme gelöst. Diese ökonomische Strategie, die im Grunde nichts anderes als Beggar-My-Neighbour ist, gilt bei den Nachfolgern der deutschen Ordoliberalen als Beweis dafür, dass die neoliberale Theorie doch richtig ist. Das dürfte die wohl größte Lebenslüge der deutschen Wirtschaftswissenschaft der Nachkriegszeit sein. 

Nicht genug damit, dass Deutschland seine Opfer beleidigt und verhöhnt. Man schwingt sich auch noch zum großen Lehrmeister auf: Am deutschem Wesen soll die EU genesen. Alle Länder sollen, wie Deutschland, ihre Probleme durch Exportüberschüsse lösen. In der Gesprächsserie „Lehren aus der Hyperkrise“ des Senders DRadio sagte Paul Jorion, ein Wirtschaftskolumnist der französischen Tageszeitung „Le Monde“, dazu:

„Die USA haben in ihrer Verfassung die wirtschaftliche Solidarität zwischen ihren Bundesstaaten verankert. Kalifornien muss mit seinen Handelsbilanzüberschüssen für das arme Georgia einstehen. Anders funktioniert das nicht. Man kann nicht alle Vorteile eines einheitlichen Währungsraums ohne Devisenrisiken für die eigene Exportindustrie in Anspruch nehmen, gleichzeitig aber jede Haftung für das wirtschaftliche Ungleichgewicht ablehnen. Das betrifft den Exportweltmeister Deutschland und auf der weltwirtschaftlichen Ebene seinen Konkurrenten China. Man kann doch als Volkswirtschaft, die sich quasi auf's Exportieren spezialisiert hat, den anderen nicht vorwerfen, dass sie nicht genauso viel exportieren. Wohin soll denn exportiert werden? Solange der Mars als Drittmarkt nicht zur Verfügung steht, geht das nicht. ... Die Deutschen wollen das Diktum ihres Philosophen Immanuel Kant nicht mehr anerkennen: Ein Prinzip muss immer Gültigkeit für alle haben, es muss universell sein. Aber alle können nicht Exportweltmeister werden.
„Keynes hat dieses Problem erkannt. Er suchte nach einem System, das in der Lage wäre, Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen auszugleichen. Das war der Kern seines Bancor-Plans, eine Verrechnungswährung zu schaffen, die Handelsbilanzdefizite ebenso sanktioniert wie Handelsbilanzüberschüsse. Denn beides ist schädlich für eine nachhaltige Weltwirtschaft. Leider konnte er sich in Bretton Woods damit nicht durchsetzen. übrigens ist das nicht seine Erfindung. Er hat sie von Hjalmar Schacht übernommen, der Reichsbankpräsident und Hitlers Wirtschaftsminister war. Schacht wurde nach dem Krieg wegen Komplizenschaft in Nürnberg angeklagt. Er wurde freigesprochen, dennoch konnte Keynes natürlich nicht zugeben, dass diese Konzepte aus dem besiegten Deutschland stammten. Das hätte ihnen in der Nachkriegszeit jede Chance auf Umsetzung genommen. Man hätte sie nicht einmal mehr diskutiert.“ ... >

Die Krise der Weltwirtschaft und insbesondere der EU werden wir später noch ausführlich diskutieren. Eines können wir aber jetzt schon sagen: Am deutschen Wesen wird die EU verwesen. Weil wir über die Ordoliberalen sprechen, darf in diesem Zusammenhang auch nicht unerwähnt bleiben, dass bei ihnen Exportüberschüsse nicht als Lösung von marktwirtschaftlichen Problemen im Gespräch waren. Insoweit lässt sich sagen, dass der heutige deutsche Merkantilismus nicht aus der Sozialen Marktwirtschaft stammt. Die restriktive Geldpolitik dagegen, die dem deutschen Verlangen entsprechend auf EU-Ebene gehoben wurde, hat ihre Wurzel in der ordoliberalen Theorie. Sie ist eigentlich alles, was vom Ordoliberalismus noch übrig geblieben ist.

Der Ordoliberalismus als deutscher Antikeynesianismus und Monetarismus

Jede neue Theorie, auch wenn sie sich später als sehr erfolgreich erweist, ist am Anfang sehr vage, mehrdeutig und widersprüchlich. Nichts anderes kann auch für die ordoliberale Theorie gelten. In der Hinsicht kann ihr keiner etwas vorwerfen. Es ist aber so, dass in den erfolgreichen Wissenschaften neuen Theorien neue Ideen vorausgehen, bei den Ordoliberalen war dem jedoch nicht so. Neue Ideen findet man bei keinem ordoliberalen Ökonomen. Das macht es schwierig überhaupt zu definieren, was ihre Theorie eigentlich war. So bleibt uns nichts anderes übrig als das „Neue“ und „Originelle“ dem zu entnehmen, was sie über die Soziale Marktwirtschaft und später über das Wirtschaftswunder gesagt haben. Dies lässt sich auf die Kurzformel bringen: Echte Marktwirtschaft plus monetäre Disziplin. Wir haben schon zitiert, was einige Ordoliberalen dazu gesagt haben. Bei Eucken hört es sich wie folgt an:

„Die Massenarbeitslosigkeit der Weltwirtschaftskrise ergab sich nicht aus der zwangsläufigen Entwicklung des „Kapitalismus“. Vielmehr entstand sie daraus, daß gewisse Marktformen und Geldsysteme verwirklicht waren, in denen sich ein Gleichgewicht nicht herstellen kann.“ ... >

Man würde erwarten, dass Eucken erklärt, was zum einen richtige Marktformen und zum anderen richtige Geldsysteme sind. Wie man sich schon denken kann, wird Eucken das nie erklären. Was die „Marktformen“ betrifft, das ist nur einer von etlichen akademisch hochgestochenen Begriffen, die immer Sprachleichen geblieben sind. Was er über richtige Geldsysteme sagen wollte, lässt sich nicht genau sagen, aber immerhin in groben Zügen erahnen. Er meinte damit - wie alle Ordoliberalen - eine restriktive Geldpolitik der Notenbanken, damit keine Inflation entsteht, weil ohne sie der Markt immer zahm und ihm Rahmen eines optimalen Gleichgewichts bleiben würde. Unter der Bedingung der Geldstabilität würde es zu keinen wesentlichen und dauerhaften Abweichungen von einem optimalen Gleichgewicht kommen und schon gar nicht könnte der Wirtschaft Nachfrage fehlen. In einer solchen Auffassung hat Keynes mit seiner Theorie vom Nachfragemangel keinen Platz, so dass sich für den Ordoliberalismus ohne weiteres sagen lässt, dass er ein deutscher Schutzwall gegen Keynes und den Keynesianismus war. Röpke hat daraus keinen Hehl gemacht:

„Zeitweilig war die Versuchung groß, einem völlig unzeitgemäßen Keynesismus nachzugeben und einer hartnäckig hochbleibenden Arbeitslosigkeit ... mit einem inflationären Programm übermäßiger Investitionen zu begegnen, zumal Sachverständige der amerikanischen Besetzungsmacht in dieser Richtung einen starken Druck auf Regierung und Zentralbank Deutschlands ausübten. Glücklicherweise widerstanden sie im ganzen dieser Versuchung, womit Deutschland vor einem Rückfall in die nationalsozialistische Politik der zurückgestauten Inflation bewahrt wurde (1950-1951). Es wurde erkannt, daß die deutsche Arbeitslosigkeit nichts mit einem „Nachfragedefizit“, wie die an ihren Formeln klebenden Keynesianer meinten, zu tun hatte, sondern struktureller Art war. Sie ist denn auch nicht nach dem Keynes’sehen Rezept der Kaufkraftüberschwemmung, sondern gemäß ihrer strukturellen Natur durch eine geduldige Politik der Anpassung überwunden worden.“ ... >

Es ist schwierig zu begreifen, dass es trotz des großen amerikanischen Einflusses - wie es auch Röpke feststellt - den deutschen Ordoliberalen gelungen ist, Keynes' Einzug in die deutsche Wirtschaftswissenschaft die ganze Zeit abzuwehren. Es wurde oft mit Recht bemerkt, das in keinem anderen westlichen Land Keynes so wenig Beachtung genoss wie in Deutschland. Diesen Erfolg kann man sich nur damit erklären, dass sich für die deutsche Wirtschaft die Absatzprobleme dank der glücklichen Umstände sozusagen von alleine gelöst hatten. Wir erinnern uns:

Zuerst waren es die Amerikaner, die das deutsche Nachfrageproblem im Rahmen ihrer Strategie des Kalten Krieges freiwillig gelöst haben. Dann kam die Wiedervereinigung. Da hat sich die westdeutsche Wirtschaft einfach soviel Geld genommen, wie sie wollte, ohne jemanden um Erlaubnis fragen zu müssen. Als auch das vorbei war, hat man die deutschen Nachfrageprobleme durch erdumpte Exportüberschüsse gelöst. Die Zwangsjacke Euro machte es möglich. Wie lange sich unsere Partner in der EU damit abfinden, dass wir unsere Angebotsüberschüsse durch Exporte ihnen zuschieben und dadurch die Wirtschaft kaputt machen, bleibt abzuwarten.

Wissenschaftler geben sich nicht oft Mühe Probleme zu lösen, die in der Wirklichkeit nicht auftreten, weil eine seriöse Wissenschaft mit empirischen Phänomenen zu tun hat. Weil sich für das Nachkriegsdeutschland durch eine Glückssträhne die Nachfrageprobleme sozusagen nebenher lösen ließen, konnte die Wirtschaftswissenschaft dieses Thema und damit den Keynesianismus außen vor lassen. Unter solchen Umständen ließ sich Keynes von der Gründung der Bundesrepublik an bequem ignorieren. Der Angriff auf den Keynesianismus außerhalb Deutschlands begann erst viel später, in Amerika unter Führung von Milton Friedman. Diese neue marktradikale Richtung bekam den Namen Monetarismus, weil sie das Geld für sehr wichtig hält. Dabei sticht eine Ähnlichkeit mit dem deutschen Ordoliberalismus ins Auge. War der Ordoliberalismus etwa ein Vorläufer oder eine Variante des Monetarismus? Machen wir einen Vergleich.

1: Sowohl vom Ordoliberalismus als auch vom Monetarismus wird der Nachfragemangel nicht anerkannt und die ganze Theorie von Keynes als falsch abgelehnt. Die deutschen Ordoliberalen haben das Nachfrageproblem einfach ignoriert und sind einer sachlichen Auseinandersetzung mit Keynes durch eine allgemein gehaltene Kapitalismuskritik und hochtrabenden Moralismus aus dem Weg gegangen. Die Monetaristen dagegen haben sich schon Mühe gegeben, in fachlicher Richtung gegen die Theorie von Keynes zu polemisieren.

2: Für die Monetaristen gilt der freie Markt im Grunde als „stabil“, solange nicht irgendwelche ernsthaften Geldfehler begangen werden. Bei den Ordoliberalen war es zunächst anders. Am Anfang haben sie sich noch Mühe gegeben, einen „liberalen“ Interventionismus zu finden, weil sie offensichtlich an der Stabilität des Marktes gezweifelt hatten. Als sie nichts Passendes finden konnten, haben sie sich von den Interventionen klammheimlich verabschiedet. Die einzige ernstzunehmende Störungsquelle, die doch noch das Gleichgewicht verhindern könnte wäre dann nur eine, die im schlecht funktionierenden Geldsystem läge.

3: Der amerikanische Monetarismus vermittelt schon mit seinem Namen, dass bei ihm dem Geld besondere Bedeutung zugemessen wird. Was auch immer der Ordoliberalismus und die Soziale Marktwirtschaft ursprünglich sein sollten, zum Schluss daraus auch nur eine Geldtheorie im weiteren Sinne übrig geblieben. Des Weiteren stimmen die Monetaristen und die Ordoliberalen auch darin überein, dass die schwere Krise des Kapitalismus, die dann in den Zweiten Weltkrieg mündete, durch falsche Geldpolitik verursacht wurde. Die Ordoliberalen hatten da die deutsche Hyperinflation im Sinn, die amerikanischen Monetaristen jedoch etwas ganz anderes.

Die „monetäre Disziplin“ sollte nach den deutschen Ordoliberalen eine Inflation verhindern, weil - das lässt sich nie oft genug wiederholen - das Weimarer Desaster angeblich die Folge der deutschen Hyperinflation war. Absurder kann man kaum argumentieren. Die deutsche Hyperinflation war schon längst vorbei, die Wirtschaft hatte sich danach für eine kurze Zeit auch wieder erholt (1928), dann kam die - durch neoliberale Maßnahmen herbeigeführte - gewaltige Deflation, in der die Arbeitslosigkeit auf 6 Millionen anstieg und erst dann kam es zur „Machtergreifung“. Die deutschen Ordoliberalen argumentieren hier in der Tradition der größten deutschen Philosophen. Die ließen sich nie von empirischen Tatsachen verwirren. „Desto schlimmer für die Tatsachen“ - so der große deutsche Philosoph Hegel, als man ihn fragte was er tun würde, wenn die Realität seine Auffassung nicht bestätige. Die Amerikaner dagegen haben schon immer empirisch gedacht. Außerdem gab es in Amerika in den Jahrzehnten vor dem Zusammenbruch der Wirtschaft und der Börse keine Hyperinflation. So konnte für Friedman die Große Depression nichts mit einer lockeren Geldpolitik zu tun haben. Er hat in seinen empirischen Recherchen sogar herausgefunden, dass der große Fehler im damaligen Geldsystem die Verknappung des Geldes durch die Notenbank (FED) war. Dadurch habe sie die Katastrophe ausgelöst. Ein größerer Unterschied zu den Ordoliberalen, für die man mit der Geldschöpfung nie vorsichtig genug sein kann, ist kaum denkbar. Schließlich geht es den Monetaristen darum, dass es in der Zukunft nicht wieder dazu kommt, dass die Wirtschaft zu wenig Geld hat, bei den Ordoliberalen soll das gute Geldsystem zu viel Geld verhindern.

Man sollte an dieser Stelle noch die Auffassung von einem „richtigen“ Geldsystem kurz erörtern. Röpke ist zwar der realitätsfremdeste aller Ordoliberalen - seine Besessenheit von den Übeln der Inflation hat psychopathische Züge und folglich ist er auch der radikalste, was die „monetäre Disziplin“ betrifft. Sein praktischer Vorschlag ist auch nicht repräsentativ, aber da er wie bereits erwähnt nach dem Tode Euckens als Haupt der Ordoliberalen angesehen wurde, werden wir uns seine Meinung kurz anhören. Aus den folgenden zwei Zitaten wird klar, was er will:

„Die Preisgabe der Goldwährung in unserer Zeit bedeutet ... einen beklagenswerten Rückschritt, als kein anderes internationales Währungssystem gefunden worden ist.“ ... >
„Aus demselben Grunde sollten wir uns vor künstlichen Währungssystemen hüten und einem quasi-automatischen Währungssystem wie der Goldwährung den Vorzug geben.“ ... >

Also Goldstandard. Warum käme eine solche uralte Idee für die amerikanischen Monetaristen nie in Frage? Die Antwort ist einfach. Weil sie den empirischen Tatsachen viel mehr Beachtung schenken. Mit dem Goldstandard hat man in der Tat genug Erfahrung gesammelt und die ist alles andere als positiv. Der britische Historiker Niall Ferguson, der als Spezialist für Finanz- und Wirtschaftsgeschichte gilt und unverdächtig sein sollte, weil er ein Konservativer ist, schreibt über den Goldstandard:

„Es gibt tatsächlich einige Hinweise darauf, daß Krisen zur Zeit des Goldstandards nicht weniger schwer waren ... doch dauerten sie immerhin nicht solange wie entsprechende Krisen in der modernen Welt mit ihren mehr oder weniger frei beweglichen Wechselkursen. ... Doch die Unterschiede sind recht unbedeutend, und Schlußfolgerungen sind riskant angesichts der Schwierigkeit, Daten aus einer ernsthaft vergleichbaren Beispielsgruppe von Ländern zu finden.“ ... >

Wie kommt Ferguson aber darauf, dass die Krisen im 20. Jahrhundert länger dauerten? Es gab nur eine Krise, die in der Tat sehr lange gedauert hat. Man kann ihre Dauer mit etwa zwei Jahrzehnten angeben. Aber hat die Dauer dieser Krise, die erst mit dem von ihr vorgezeichneten Zweiten Weltkrieg beendet wurde, nicht auch damit zu tun, dass man sie mit der festen Bindung des Geldes an das Gold zu beenden versuchte? Mit der festen Überzeugung, in einer starken Währung und nirgendwo sonst liege die Lösung aller damaligen ökonomischen Probleme, kehrte Winston Churchill sogar zum echten Goldstandard zurück (1925). Obwohl Keynes dies schon heftig - und öffentlich - als „große Dummheit“ angeprangert hatte, kamen noch im Jahre 1929 alle zehn Professoren der Volkswirtschaft in Australien zusammen und erklärten der Labour-Regierung, dass es für das Land verhängnisvoll wäre, vom Goldstandard abzugehen. Der Regierung war das nicht recht, aber sie wollte nichts gegen den Willen der „Experten“ unternehmen, so dass in den Jahren vor der Großen Depression der Goldstandard souverän die Welt regierte.

Raymond Aron, ein französischer Philosoph und Soziologe, der als bedeutender Vertreter eines klassischen politischen Liberalismus gilt, stellte fest, dass in den „Jahren des Leidens“ zwischen den zwei Weltkriegen, „die Welt vom Inflationsproblem besessen war, von dem Willen, eine gesunde Währung wiederherzustellen“,... > die des Goldstandards würdig wäre. Karl Paul Polanyi, ein ungarisch-österreichischer Wirtschaftshistoriker und Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, hat dies in seinem sehr berühmten Buch The Great Transformation, das zu den Hauptwerken der Soziologie gezählt wird, auf eine sehr beeindruckende Weise beschreiben:

„Ob das Gold selber Wert habe, weil es Arbeitsleistung verkörpere, wie die Sozialisten meinten, oder weil es nützlich und selten war, wie die traditionelle Lehre verkündete, machte in diesem Fall keinen Unterschied. Der Krieg zwischen Himmel und Hölle ließ die Geldfrage völlig außer Acht, so daß Kapitalisten und Sozialisten auf wunderbare Weise sich völlig einig waren. Wo sich Ricardo und Marx eins waren, konnte das 19. Jahrhundert keinen Zweifel haben. Bismarck und Lassalle, John Stuart Mill und Henry George, Philip Snowden und Calvin Coolidge, Mises und Trotzki akzeptierten gleichermaßen diesen Glauben. ... Der russische Bolschewik Sokolnikow war der erste Staatsmann nach dem Krieg, der den Wert der Währung seines Landes wiederum auf das Gold ausrichtete; der deutsche Sozialdemokrat Hilferding gefährdete durch sein festes Eintreten für eine gesunde Währung die Einheit seiner Partei. Der österreichische Sozialdemokrat Otto Bauer unterstützte die von seinem Hauptgegner Seipel bei dessen Versuch zur Rettung der Krone angewandten monetären Grundsätze; der englische Sozialist Philip Snowden wandte sich gegen die Arbeiterpartei, als er zur Ansicht gelangte, das Pfund sei bei ihnen nicht gut aufgehoben; und der Duce ließ den Goldwert der Lira bei 90 in Stein meißeln und schwor, für dessen Verteidigung sterben zu wollen.“ ... >

Vergleicht man die Geldpolitik des jüngeren 20. Jahrhunderts mit der restriktiven Geldpolitik der Zeit davor, ist die Botschaft eindeutig: Das Geld verhält sich der realen Produktion gegenüber nicht neutral, sondern es fördert sie. Zwischen 1870 und 1913, der „Blütezeit des Kapitalismus“ und damit der Herrschaft der restriktiven und deflationistischen Goldstandardpolitik, wuchs das Sozialprodukt pro Einwohner in den damals führenden Industrieländern im Durchschnitt um 1,5% pro Jahr, zwischen 1950 und 1994 um 2,5% pro Jahr. Anstatt hinter allem immer eine Frau zu suchen (cherchez la femme), wie es ein französisches Sprichwort empfiehlt, hat Friedman also nicht zu Unrecht vorgeschlagen, hinter allem das Geld zu suchen (cherchez la monnaie). Es sollte uns eigentlich nicht wundern, dass uns ein Amerikaner diese exzellente Lektion erteilt hat. Wenn die Geschichte der Handelsbanken den Italienern und die der Zentralbanken den Briten gehört, dann gehört die Geschichte des von einer Regierung ausgegebenen Papiergeldes zweifellos den Amerikanern. Wir können uns also denken, was die deutschen Ordoliberalen bzw. ihre Nachfolger, die ihr teuflisches Geldsystem ganz Europa aufgedrängt haben, den europäischen Völkern antun.

Es ist angebracht noch zum Goldstandard zu erwähnen, dass Keynes in seiner berühmten Schrift „Ein Traktat über Währungsreformen“ geschrieben hat: „In Wahrheit ist der Goldstandard bereits ein barbarisches Überbleibsel.“ Man kann sich denken, wie die deutschen Ordoliberalen von Keynes genervt sein konnten wie sie ihn verachten mussten. Wenn Keynes das Vokabular der deutschen Ordoliberalen hätte benutzen wollen, hätte er sie als Paläomonetaristen bezeichnen können und Röpke als Goldpaläomonetaristen. Fügen wir noch hinzu, dass man nicht auf den Gedanken kommen sollte, Röpke sei auf irgendeine Weise mit seiner Gold-Geld-Auffassung originell gewesen. Die war schon immer im Gepäck der deutschen Marktradikalen. Auch noch im Jahre 1976, als keiner in der Welt an den Goldstandard dachte, verkündete Hayek:

„Solange die Regulierung des Geldes in den Händen der Regierung liegt, glaube ich nach wie vor, daß der Goldstandard mit allen seinen Unvollkommenheiten das einzig tragbare System ist. .“ ... >

Gibt es dann überhaupt noch einen Unterschied zwischen Röpke und den radikalen Neoliberalen? Einen gibt es schon. Wir lesen bei Röpke zum Beispiel Folgendes:

„Daß die Konkurrenz gar eine moralisch-soziologisch nicht ungefährliche Anordnung darstellt, die daher in Schranken gehalten und überwacht werden muß, wenn sie den sozialen Körper nicht vergiften soll, blieb jenem historischen Liberalismus (vor allem dem des 19. Jahrhunderts) verborgen. Man war im Gegenteil der Meinung, daß die auf Konkurrenz und Arbeitsteilung beruhende Marktwirtschaft eine ausgezeichnete moralische Erziehungsanstalt sei und durch den Appell an den Egoismus die Menschen zu Frieden, Anstand und allen bürgerlichen Tugenden anhalte. Während wir heute wissen (was man immer hätte wissen können), daß die Konkurrenzwirtschaft ein Moralzehrer ist und daher Moralreserven außerhalb der Marktwirtschaft voraussetzt, war man verblendet genug, sie für einen Moralanreicherer zu halten. Der rationalistischen Ubertreibung des vom Egoismus des einzelnen ausgehenden Konkurrenzprinzips entsprach die soziologische Blindheit, mit der man das freischwebende, atomisierte Individuum zur Grundlage der Wirtschaft machte und die unentbehrlichen Bindungskräfte der Familie und der natürlichen Gemeinschaften (der Nachbarschaft, der Gemeinde, des Berufs u. a.) als lästige Fesseln empfand. Damit gelangte man zu jenem bedenklichen Individualismus, der sich schließlich als gesellschaftszerstörend erwiesen hat und einen an sich richtigen Gedanken so sehr diskreditierte, daß dem Aufkommen des noch weit gefährlicheren Kollektivismus Vorschub geleistet wurde.“ ... >

So gegen den Kapitalismus zu lästern gehört sich für einen richtigen Neoliberalen nicht. Aber das ist ziemlich das Einzige, was Röpke von den neoliberalen Marktpsychopathen wie etwa Mises und Hayek unterscheidet. Abgesehen vom Goldstandard gilt auch für die anderen Ordoliberalen, dass sie sich im Großen und Ganzen nur durch solche Lästereien von den Neoliberalen unterscheiden. Es ist auch typisch für sie, was man ebenfalls nicht genug oft wiederholen kann, dass sie die frühen Liberalen - wie Röpke im Zitat - fälschlicherweise als asozial diffamieren. In nicht-akademischen Sprache formuliert: Sie verbreiten Lügen.

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