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2. Phase des ökonomischen Zyklus der Marktwirtschaft: Die Erholung (Aufschwung) |
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Die Schaffung der neuen Nachfrage durch schuldenfinanzierte Investitionen |
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Durch den Kredit wird den Unternehmern der Zutritt zum volkswirtschaftlichen Güterstrom eröffnet, ehe sie den normalen Anspruch darauf erworben haben. |
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Joseph Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1912 |
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Der Kredit ist der Boden, auf dem sich die Produktion bewegt und die Banken würden, wenn sie ihre Pflicht kennten, Transporterleichterungen in solchem Umfang schaffen wie erforderlich ist, um die produktiven Kräfte des Gemeinwesens im Rahmen ihrer vollen Leistungsfähigkeit zu beschäftigen. |
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John M. Keynes, Vom Gelde, 1930 |
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Wir haben in unserer bisherigen Untersuchung der Depression bzw. der Erholung einige Faktoren außer Acht gelassen, die in der Praxis von großer Bedeutung sind. Unter anderem haben wir stillschweigend angenommen, dass wir es mit einer idealen kapitalistischen Wirtschaft zu tun haben, in der die Unternehmen mit eigenem Kapital wirtschaften. Unsere Sektoren bzw. ihre Produktionsmittel (Kapitalien) waren nämlich in allen unseren Beispielen in Besitz der reichen Personen und Familien oder der Aktionäre. Wir haben dies zwar nicht ausdrücklich betont, aber es ließ sich daran erkennen, dass die neuen Investitionen immer aus dem verfügbaren Nettoeinkommen finanziert wurden. Der Sparer war also in unseren Beispielen immer zugleich auch Teileigentümer des Kapitals eines der Sektoren. Das bedeutete natürlich nicht, dass die Kapitalanteile immer im Besitz der gleichen Personen sein mussten. Es gibt immer Kapitalbesitzer bzw. Sparer, die es nicht mehr sein wollen, weil sie zum Beispiel Lust auf Konsumieren bekommen haben, dann verkaufen sie ihre Anteile. Dadurch wurde ihre Funktion des Kapitalbesitzers und Sparers auf die Käufer der Anteile übertragen. Diese sind danach diejenigen, die einen Teil ihres verfügbaren Einkommens investiert und eingespart haben. Für die Wirtschaft als Ganzes hat sich da jedoch nichts geändert. Ihr ganzes Kapital beruht auch weiterhin auf Ersparnissen bzw. aus dem nicht konsumierten Einkommen vieler. Ist es aber überhaupt möglich anders zu investieren, als aus den Nettoeinkünften?
Ja, es ist in der Tat möglich. Man muss kein eigenes Einkommen oder einfacher gesagt Geld haben, um ein Unternehmen zu gründen. Man kann sich die nötigen finanziellen Mittel auch ausleihen. Neu ist dies natürlich nicht. Schon vor langer Zeit gab es Menschen, die sich bei den Verwandten oder Freunden verschuldet haben, um ein eigenes Geschäft zu begründen und zu betreiben. Erst die Quantität einer solchen Praxis kann man als neu bezeichnen. Die Finanzierung der Investitionen aus Schulden, darüber herrscht eine erstaunlich große Übereinstimmung unter den Ökonomen, ist ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Hat man sich früher bei Verwandten und Bekannten verschuldet, haben diese Aufgabe im Kapitalismus immer mehr besondere Institutionen übernommen, nämlich die Banken. Sie haben eine neue Phase des Kapitalismus eingeleitet. Das alte Bild von fleißigen und genügsamen Privatpersonen, die aus eigenen Ersparnissen ein Unternehmen gründen und es durch weitere Entsagungen und Ersparnisse immer mehr erweitern, kommt seit mehr als einem Jahrhundert der Realität des Kapitalismus nicht mehr nahe.
An dieser Stelle ist durchaus die Frage angebracht, wie die Wirtschaftswissenschaft auf diese radikale Veränderung des Kapitalismus reagierte. Man könnte meinen, in dem am Ende des 19. Jahrhunderts reformierten Liberalismus, der mit dem Modell des allgemeinen Gleichgewichts von Walras begonnen hat, würde dies angemessen berücksichtigt. Das Gegenteil ist aber richtig. Im Walrasschen Modell der kapitalistischen Marktwirtschaft gibt es immer noch nur kleine Kapitalbesitzer, die sogar ohne Geld ihre Güter tauschen. Dieses Modell stellt also nicht nur veraltete Erklärungsmuster und analytische Methoden dar, welche sich die klassischen Physiker ausgedacht und welche dann die Physik am Anfang des 20. Jahrhundert für überholt und unbrauchbar erklärt haben, sondern es war bereits bei seiner Geburt eine Beschreibung der Marktwirtschaft, die sich schon aus die Geschichte verabschiedet hatte. Um der Realitätsfremdheit noch die Krone aufzusetzen, wurde in diesem Modell einfach angenommen, dass es Profite gar nicht gibt. Trotzdem ist dieses Modell auch heute noch das Referenzmodell des heutigen ökonomischen Mainstreams. Man kann es fast nicht glauben. Erstaunlicherweise war es gerade Marx, der schon Mitte des 19. Jahrhunderts die wachsende Bedeutung des Finanzsektors im Kapitalismus vorhergesagt hat. Der Kapitalismus würde sich immer mehr in Richtung Monopole und Banken entwickeln, so seine Hauptthese. Er hat dies aus der angeblich steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals abgeleitet, aus einem „Gesetze“, das sich selber als falsch erwiesen hat, aber seine Prophezeiung war trotzdem richtig. Das mag überraschen, aber wie dem auch sei, es gibt keinen Ökonomen, dessen langfristige Prognosen sich derart bewahrheitet haben, wie die von Marx. Dieser Denkweise verpflichtet verfasste dann der österreichische Marxist Rudolf Hilferding ein Buch über Das Finanzkapital (1910), das manche, wie etwa Karl Kautsky, anerkennend als den „vierten Band des Kapitals“ bezeichneten.
Der neue Liberalismus begann also mit einer völlig realitätsfernen Vorstellung über die Marktwirtschaft. Der Preis, den man an die Realität zahlen musste, war entsprechend hoch. Ein halbes Jahrhundert nach der Umstellung der „bürgerlichen Ökonomie“ auf die Grundlage des Walrasschen Modells gab es die schlimmste ökonomische Krise aller Zeiten, zwei Weltkriege, die Rückkehr zu totalitären Ordnungen und den Holocaust. Wahrscheinlich war der Abschied von dieser Theorie nach dem Zweten Weltkrieg nur angesichts des drohenden Untergangs der kapitalistischen Ordnung möglich. Das war die Chance für eine Theorie, der von Keynes, in der es Monopole, Banken und Börsen gibt und das Geld ein wichtiger Faktor der Funktionsweise der Marktwirtschaft ist. Man spricht seitdem von einem Sieg der Nachfragetheorie über die Angebotstheorie, was zweifellos richtig ist, es war aber zugleich ein Sieg der monetären über die reale ökonomische Analyse. Es ist interessant an dieser Stelle sich daran zu erinnern, was Schumpeter in seiner bekannten Geschichte der ökonomischen Analyse dazu schreibt:
Das ökonomische Denken wurde nach seiner Auffassung über lange Zeit von der realen Analyse (Aristoteles, Scholastiker) beherrscht, danach wurde es in einer relativ kurzen Zwischenperiode von der monetären Analyse (1600-1760) unterbrochen, aber bald hat sich wieder die reale Analyse durchgesetzt. Schumpeter fügt noch hinzu, dass der Sieg der jeweiligen theoretischen Ausrichtung über die gegnerische jedes Mal verdient war. Die Theorien, die es wirklich verdient haben, weggeräumt zu werden, konnten sich allmählich erholen und mit neuen Konzeptionen dann die Theorien, von denen sie weggeräumt worden waren, wegräumen. Dieser Wettbewerb zwischen dem monetären und realen Ansatz, so Schumpeter, war sehr nützlich für die „seltsame Pflanze wissenschaftliche Erkenntnis“.
Wir wissen heute, dass die Nachfragetheorie von Keynes etwa nach drei Jahrzehnten von der Angebotstheorie weggeräumt wurde, die monetäre Analyse konnte jedoch überleben. Die neue Angebotstheorie nannte sich selbst Monetarismus. Erwähnen wir jetzt nur kurz, dass in dieser neuen Angebotstheorie das Geld, wie schon bei Keynes, für die Große Depression verantwortlich gemacht wird. Nicht aber deshalb, weil es sich horten lässt, sondern weil die Banken damals, so der Stammvater des neuen Monetarismus Milton Friedman, der Wirtschaft nicht genug Geld zur Verfügung stellten. Würde man also in der Zukunft genug Geld drucken, so die neue Angebotstheorie, würde der Kapitalismus nie mehr von ernsthaften ökonomischen Krisen heimgesucht werden. Vorausgesetzt, der Staat würde nicht zu viel Geld drucken und er würde von jeglichem Eingreifen in die Wirtschaft ablassen. Dann würden die Selbstregelungskräfte des Marktes über Angebot und Nachfrage ihr Wunderwerk verrichten. Spätestens im Herbst 2008 hat sich die neue Angebotstheorie als Fehlschlag erwiesen. Das bedeutet auch, dass die monetäre Analyse im 20. Jahrhundert zum zweiten Mal gescheitert ist.
Alles deutet darauf hin, dass wir den Weg zurück zur realen Analyse finden müssen, aber man sollte vorsichtig sein. Die reale und die monetäre Analyse schließen sich nicht gegenseitig aus. Es kann sich immer nur darum handeln, womit eine Analyse anfängt bzw. was zu den Grundlagen des Marktmodells gemacht wird: seien dies Güter und Güterströme oder Geld und Geldströme. Eine Analyse, die nur eins berücksichtigt und das andere weglässt, wird immer unvollständig und damit realitätsfern bleiben. In Wirklichkeit beeinflussen die realen Phänomene und Zusammenhänge die monetären und umgekehrt. Deshalb mussten wir in unserer realen Analyse, die auf der Konzeption der realen Kreisläufe beruht, auch monetäre Faktoren des Wirtschaftens berücksichtigen. Das haben wir jetzt auch vor, daher eine ganz kurze Anmerkung zum Geld.
Das Geld und seine Vernachlässigung bei bisherigen realen Analysen und Modellen
In den monetären Analysen steht das „richtige“ Geld an der ersten Stelle. In früheren Zeiten war dies hauptsächlich Gold und Silber, heute sind es Münzen und Banknoten. Wen soll es dann noch wundern, dass in dem neoliberalen Monetarismus von Friedman die Quantitätstheorie des Geldes im Mittelpunkt steht, nach der die Preise in einem festen Verhältnis zu dem „richtigen“ Geld stehen. Auch der Laie meint dieses „richtige“ Geld, wenn er über Geld spricht. Folglich sind für ihn die Banken so etwas wie Speicher für solches Geld. Das ist aber völlig falsch. Das relevante Geld der Wirtschaft ist schon längst das Buchgeld (Giralgeld) der Banken. Die praktische Bedeutung des „richtigen“ Geldes kann schon deshalb nicht hoch sein, weil es nicht viel von diesem Geld gibt. Zum Beispiel kommen zu jedem Euro im Euroraum, der in Form von Bargeld im Umlauf ist, etwa weitere 16 Euro hinzu, die ausschließlich auf dem „Papier“ der Banken stehen. Mittlerweile hat das Plastikgeld auch im Kleinhandel das Bargeld weitgehend verdrängt, für die Kredite der Banken war es nie von Bedeutung.
In allen bisherigen realen Analysen hat das Geld keine relevante Funktion, unabhängig davon, was man unter Geld verstanden hat. Das war schon bei Adam Smith so und erst recht bei den drei einflussreichsten Ökonomen vor Keynes: bei David Ricardo, Karl Marx und Leon Walras. Das Geld war in deren Theorien neutral. Man hielt es zwar für den einfacheren und schnelleren Tausch für nützlich und unentbehrlich, den ökonomischen Verlauf sollte es aber nicht beeinflussen. Seltsamerweise wird aber in den realen Analysen als selbstverständlich angenommen, dass das so wenig relevante Geld doch enormen Schaden anrichten kann, wenn Banken und Börsen versehentlich oder in einer kriminellen Absicht Fehler gemacht haben. Das Geld spielte also in der realen Analyse nur die unrühmliche Rolle des Schurken. Wir können uns schon denken warum: Da es innerhalb der realen Theorien keine Erklärung für die ökonomischen Krisen gibt, musste man einen Schuldigen anderswo suchen. Das Geld war wahrhaftig eine geschickte Wahl. Es stand bekanntlich schon immer im Verdacht, wenn etwas schlimmes passierte. Welcher Moralist in der Geschichte ist nicht übers Geld hergefallen?
In der bisherigen realen Analyse war das Geld auch deshalb neutral, weil es angeblich keinen Einfluss auf das Gleichgewicht ausüben kann. Es wurde zwar zugegeben, dass es eine externe Kaufkraft bedeutet, aber diese sollte nur eine Illusion sein. Im besten Fall würde das externe Geld ein „Strohfeuer“ entfachen, also kurzfristig eine zusätzliche Nachfrage schaffen, die sich aber sehr schnell und ohne dauerhafte reale Effekte in der Preissteigerung erschöpfen würde. Wir wollen jetzt herausfinden, was sich gleichgewichtstheoretisch doch ändert, wenn die neuen Investitionen nicht aus dem eigenen Einkommen, sondern aus den Krediten der Banken finanziert werden. Genauer gesagt, wir wollen das schuldenfinanzierte Wachstum analysieren. Damit beschäftigen wir uns genau mit dem, was für die Erholungsphase des ökonomischen Zyklus am wichtigsten ist.
Investitionen aus Krediten bzw. Schulden als Pump-priming des ökonomischen Wachstums
Wir haben das Wachstum durch selbstfinanzierte Investitionen schon untersucht. Dort haben wir festgestellt, dass das Wachstum beim Start einen Nachfragemangel verursacht, der es als solches ausbremst oder sogar die Ausgangslage noch verschlimmert. Ein misslungener Anlauf kann nämlich auch noch zur Preissenkung führen, die - wie wir es ebenfalls herausgefunden haben - das Problem der fehlenden Nachfrage noch verschärft. Aber wir wollen unsere Untersuchung des ökonomischen Zyklus noch nicht mit den Preisen unnötig komplizierter machen. Die Preissteigerung beginnt zwar schon bei der Erholung der Wirtschaft aus der Depression, aus methodischen Gründen werden wir sie erst bei Hochkonjunktur theoretisch berücksichtigen. Wie bisher, sollen uns auch weiterhin Bilder bzw. Flussdiagramme dabei helfen, die Problematik besser zu veranschaulichen.
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Nettoeinkommen: |
Sektor 1: |
1000 |
Sektor 2: |
1000 |
2a: |
0 |
Sektor 3: |
2000 |
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4000 |
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Konsumproduktion: |
Sektor 1: |
0 |
Sektor 2: |
0 |
2a: |
0 |
Sektor 3: |
4000 |
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4000 |
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Das Bild links hatten wir schon bei der Untersuchung des Wachstums durch selbstfinanzierte Investitionen - beim sogenannten extensiven Wachstum. Aus ihm ist einsichtig, dass die eingesparten Nettoeinkünfte des Sektors 2, die zur Finanzierung der neuen Investitionen hergezogen werden (120), nicht mehr für den Kauf der bereits hergestellten und angebotenen Konsumgüter zur Verfügung stehen. Der so entstandene Nachfragemangel (120) löst dann eine Kettenreaktion des Schrumpfens der Wirtschaft auf allen Ebenen aus, so dass das Wachstum in sich zusammenbrechen muss. Jetzt nehmen wir an, dass keiner der Sektoren sparen und investieren möchte - aus welchem Grund auch immer. Es gibt aber einen Neuling 2a, der gern investieren würde, und eine Bank ist bereit, ihm die finanziellen Mittel dazu zur Verfügung zu stellen. Dieser Neuling könnte zum Beispiel ein früherer Beschäftigter des Sektors 2 sein, der sich selbständig machen will. Wir nehmen ferner an, dass ihm die Bank einen Kredit in Höhe von 120 genehmigt hat, damit die Ausgangsposition in unserem Fall möglichst ähnlich der ist, die wir im linken Bild haben.
Da stellt sich sofort die Frage, woher die Bank diese Mittel überhaupt nehmen kann? In der Vorstellung des Laien gibt die Bank nur das aus, was sie zuvor eingenommen hat. Mag diese Auffassung auch verbreitet sein, sie ist falsch, so dass es nicht nötig ist, sie kritisch zu erörtern. Es wird auch diametral gegensätzliche Meinung vertreten, dass die Banken das Geld bzw. den Kredit aus dem Nichts schaffen können. Wir werden die Problematik der „Geldentstehung“ in besonderen Beiträgen noch genauer erörtern, jetzt lassen wir es dabei bewenden, dass Banken tatsächlich die Möglichkeit haben, Kredite einfach durch Buchung einer Summe auf der Habenseite des Kontoinhabers zu schaffen. Dies gibt in der Tat den Eindruck der creatio ex nihilo. Wir lassen es also vorerst so stehen und verfolgen den Weg des Kredits weiter. Dann wird sich nämlich einiges von alleine klären.
Zu den Chancen für den Neuling 2a Kredit zu bekommen, ist zu bemerken, dass er diesen nicht einfach so bekommen würde, sondern erst nachdem die Bank seine Kreditwürdigkeit (Bonität) geprüft und sich vergewissert hat, dass sein Eigentum und zukünftiges Einkommen für die Rückzahlung des Kredits ausreichen würden. Das Geld wird auf dem Konto des Kreditnehmers erst dann liegen, wenn er sich mit seiner Unterschrift auch noch verpflichtet hat, sein Eigentum im Fall der Fälle an die Bank abzutreten. Den Kredit kann man also treffend als eine Forderung gegen das Eigentum des Kreditnehmers bezeichnen.
Nachdem der Neuling 2a mit dem Buchgeld auf seinem Konto frei verfügen kann, versorgt er sich mit den Investitionsgütern beim Sektor 1. Der Kredit wird dann auf das Konto des Sektors 1 überwiesen. Jetzt können sowohl Sektor 1 als 2 ihre ganze Produktion absetzen. Wenn auch das geschehen ist, verfügen alle drei Sektoren über genug Nettoeinkommen, um alle hergestellten und angebotenen Konsumgüter zu kaufen. Dies lässt sich unmittelbar aus der Tabelle unten entnehmen, die dem rechten Bild oben zugeordnet ist. Die Summe, welche der Neuling 2a ursprünglich als Kredit erhielt (120), wandert also auf das Konto des Sektors 1. Dieser hat seine Produktion abgesetzt und er kann, wie üblich, vom Sektor 3 Konsumgüter im Wert von 1000 kaufen - siehe die rechte Helfte der Tabelle unten. Da Sektor 3 alles abgesetzt hat, kann er sich nun Produktionsgüter beschaffen, um in der nächsten Reproduktionsperiode seine Produktion auf dem gleichen Niveau zu erhalten. Er kann es zwar, er wird aber enttäuscht. Er bekommt vom Sektor 1 eine höfliche Antwort, dass dieser momentan alles abgesetzt habe und nichts liefern könne. Das Geld ist also da, die Güter fehlen aber.
Wir stellen also fest, dass am Ende der betrachteten Reproduktionsperiode t+1 einer zahlungsfähigen Kaufkraft (120) das Angebot fehlt. So etwas wäre in keinem der bisherigen Modelle der realen Analyse vorstellbar. Könnte es sein, dass uns das vorige Bild täuscht? Ein Bild kann bekanntlich mehr als tausend Worte sagen, aber es kann auch unvollständig oder gar falsch sein. Wir wissen nicht, was bei uns diesmal der Fall ist. Deshalb können wir uns nicht nur auf Bilder verlassen. Wenn es sich um quantitative Zusammenhänge handelt, und das ist hier zweifellos der Fall, sind mathematische Gleichungen unentbehrlich. In besonderen Fällen, wenn die quantitativen Zusammenhänge überschaubar sind, was bei uns auch der Fall ist, lassen sich die Gleichungen durch einfache Tabellen ersetzen. Wir fertigen uns jetzt also eine Tauschtabelle für den untersuchten Fall, so wie wir es schon früher getan haben, in der aber zu den Sektoren auch noch die Bank hinzugefügt wird.
Wenn sich Sektor 3 nicht die gewünschte Menge an Investitionsgütern beschaffen kann, weil es sie (real) nicht gibt, kann er mit seinem übrig gebliebenen Einkommen (120) zweierlei tun. Er kann sich die Summe von der Bank bar auszahlen lassen und dieses „echte“ Geld irgendwo begraben. (Wer weiß nämlich , was die Zukunft bringt.) Aber das wird Sektor 3 mit großer Wahrscheinlichkeit nicht tun. Er wird das Buchgeld auf seinem Konto der Bank zur Verfügung stellen bzw. ausleihen. Dafür wird er von der Bank Zinsen bekommen. So schließt sich auch der Kreis des Kredits, der Kreis der Güter hatte sich schon vorher geschlossen.
Dem Kredit, der am Anfang sozusagen als eine creatio ex nihilo entstanden ist, hat sich etwas Reales angegliedert, nämlich ganz normale Einkünfte bzw. Ersparnisse. Die Trennung zwischen Investieren und Sparen war also nur vorübergehend, aber es gab sie tatsächlich. Darin unterscheiden sich die schuldenfinanzierten Investitionen von den einkommensfinanzierten. Bei den einkommensfinanzierten Investitionen sind das Sparen und das Investieren zwei Seiten einer Münze, bei den schuldenfinanzierten Investitionen kann dagegen der Zeitpunkt des Investierens vor den Zeitpunkt des Sparens gelegt werden. Im ersten Fall lässt sich von Gleichschritt oder Gleichzeitigkeit sprechen, in dem zweiten von Vorsprung oder Vorwegnahme. Aber die ursprünglich entstandene temporale Lücke schließt sich irgendwann: Die Ersparnisse holen sozusagen die Investitionen ein. Wir konnten auch feststellen, dass quantitativ betrachtet die Ersparnisse genau dem Wert des Kredits bzw. den schuldenfinanzierten Investitionen entsprechen, wie es bei den „normalen“ Investitionen auch der Fall ist.
Mag also der Kredit dem Bankangestellten als eine creatio ex nihilo erscheinen - er hat ihn doch durch das Niederschreiben einer Zahl auf ein Stück Papier ins Leben gerufen - betrachtet man die Wirtschaft als ein Ganzes, also makroökonomisch, sieht es ganz anders aus. Für die schuldenfinanzierten Investitionen gilt also auch, dass sie auf dem nicht konsumierten Einkommen und nicht auf nichts beruhen. Auch quantitativ betrachtet sind diese zwei Größen identisch. Das kommt daher, dass die Einzahlung des Käufers immer genau der Auszahlung des Verkäufers gleich sein muss. Die Verteidiger des Sayschen „Gesetzes“ haben also Recht, wenn sie behaupten, dass alle volkswirtschaftlichen Zusammenhänge letztendlich güterwirtschaftlicher und nicht geldwirtschaftlicher Natur sind. Sie haben daraus aber falsche Schlüsse gezogen. Es war nämlich falsch daraus zu folgern, dass schon deshalb Nachfragemangel unmöglich sei. Wir stellen außerdem fest, dass es ebenso falsch ist, daraus zu schließen, dass die geldwirtschaftlichen Zusammenhänge nur wie „Schleier“ über den güterwirtschaftlichen liegen oder, wie man auch zu sagen pflegte, dass das Geld nur „Schmiermittel“ im Tauschmechanismus der Wirtschaft sei. Im Rahmen des Kreislaufsmodells konnten wir zeigen, dass die durch Banken schuldenfinanzierten Investitionen es möglich machen, dass die Wirtschaft zu wachsen beginnt, was mit den einkommensfinanzierten Investitionen, wegen des Nachfragemangels, nicht möglich wäre. Die geldwirtschaftlichen Entscheidungen erzeugen also sehr nützliche realwirtschaftliche Effekte.
Wir schauen uns jetzt an, wie es mit dem Wachstum weitergeht. Um unser Beispiel zu vereinfachen, nehmen wir an, dass der Neuling 2a mit derselben Produktionsmethode produziert wie Sektor 2 und seine Produkte nach gleichen Stückpreisen verkauft. Dann wird er mit seinen Investitionen (120) einen zusätzlichen Tauschwert (80) erwirtschaften ( τ20 = 0.66 ). Sektor 3 wird seine Produktion herunterfahren müssen; bei den restlichen zwei Sektoren wird sich nichts ändern. Der Produktionsprozess während der Reproduktionsperiode t+2 sieht dann so aus, wie es die linke Tabelle darstellt.
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t + 2 |
Produktionsprozess |
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Sektor 1: |
Sektor 2: |
2a: |
Sektor 3: |
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K |
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Ÿ |
|
|
|
Y |
|
|
2500.00 |
+ |
1000.00 |
|
= |
|
3500.00 |
|
|
1500.00 |
+ |
1000.00 |
|
= |
|
2500.00 |
|
|
120.00 |
+ |
80.00 |
|
= |
|
200.00 |
|
|
1880.00 |
+ |
1880.00 |
|
= |
|
3760.00 |
|
|
|
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Kapitalbeschaffung |
für Reproduktionsperiode t +3 |
|
|
|
K1t+3 |
|
= |
|
2700.00 |
|
|
|
|
|
|
K2t+3 |
|
= |
|
1500.00 |
|
|
|
|
|
|
K2at+3 |
|
= |
|
120.00 |
|
|
|
|
|
|
K3t+3 |
|
= |
|
1880.00 |
|
|
|
|
|
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In der rechten Tabelle ist dargestellt, mit welchen Mengen an Produktionsmitteln sich die Sektoren für die nächste Reproduktionsperiode versorgt haben. Der gesamte Tausch wird mit dem nächsten Bild veranschaulicht. Aus ihm lässt sich entnehmen, dass die Wirtschaft in der Reproduktionsperiode t+2 auf allen Ebenen im Gleichgewicht bleibt.
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|
|
Nettoeinkommen: |
Sektor 1: |
800 |
Sektor 2: |
1000 |
2a: |
80 |
Sektor 3: |
1880 |
|
|
|
3760 |
|
|
Konsumproduktion: |
Sektor 1: |
0 |
Sektor 2: |
0 |
2a: |
0 |
Sektor 3: |
3760 |
|
|
|
3760 |
|
|
Die dem Bild folgende Tauschtabelle zeigt uns mehr Details darüber, was in der Wirtschaft während der Reproduktionsperiode t+2 alles geschehen ist. Wir stellen fest, dass Sektor 2 seinen Kredit nicht zurückgezahlt hat. Er konnte es nicht tun, weil er weiter wirtschaften wollte und sich bereits für die verbrauchten Produktionsgüter neue verschafft hat. Dies setzt voraus, dass ihm die Bank den Kredit prolongiert hat. Sie hat es bereitwillig getan, weil in dieser Reproduktionsperiode niemand sonst die Bank gebraucht hat. Der Sektor 1 hat nämlich aus dem eigenen Einkommen gespart und investiert und die restlichen Sektoren haben keine neuen Investitionen getätigt. Folglich sind alle Felder in der Tauschtabelle, die sich auf die Transaktionen der Bank beziehen, leer. Nur das Hinausschieben der Kreditrückzahlung des Unternehmens 2a hat der Bank Zinseinkommen für eine weitere Reproduktionsperiode gesichert.
Dank seiner selbstfinanzierten Investitionen konnte Sektor 3 in der Reproduktionsperiode t+3 seine Produktion steigern, wie es die nächste linke Tabelle zeigt.
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t + 3 |
Produktionsprozess |
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Sektor 1: |
Sektor 2: |
2a: |
Sektor 3: |
|
|
K |
|
Ÿ |
|
|
|
Y |
|
|
2700.00 |
+ |
1080.00 |
|
= |
|
3780.00 |
|
|
1500.00 |
+ |
1000.00 |
|
= |
|
2500.00 |
|
|
120.00 |
+ |
80.00 |
|
= |
|
200.00 |
|
|
1880.00 |
+ |
1880.00 |
|
= |
|
3760.00 |
|
|
|
|
Kapitalbeschaffung |
für Reproduktionsperiode t +4 |
|
|
|
K1t+4 |
|
= |
|
2700.00 |
|
|
|
|
|
|
K2t+4 |
|
= |
|
1780.00 |
|
|
|
|
|
|
K2at+4 |
|
= |
|
120.00 |
|
|
|
|
|
|
K3t+4 |
|
= |
|
1880.00 |
|
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Den Produktionszuwachs (280) des Sektors 1 können sich die Sektoren 2 und 3 in beliebigem Verhältnis untereinander aufteilen. Wir haben in der rechten Tabelle einfach angenommen, dass Sektor 2 alles bekommt, womit wir uns für das schnellst möglichste Wachstum entschieden haben. Das nächste Bild veranschaulicht diesen Fall.
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Nettoeinkommen: |
Sektor 1: |
1080 |
Sektor 2: |
720 |
2a: |
80 |
Sektor 3: |
1880 |
|
|
|
3760 |
|
|
Konsumproduktion: |
Sektor 1: |
0 |
Sektor 2: |
0 |
2a: |
0 |
Sektor 3: |
3760 |
|
|
|
3760 |
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Wir können uns eine Tauschtabelle für jede beliebige Aufteilung des Produktionszuwachses beim Sektor 1 zwischen den Sektoren 2 und 3 anfertigen. Aus jeder dieser Tabellen würde sich ergeben, dass die Wirtschaft im Gleichgewicht bleibt und - was besonders wichtig festzustellen ist -, dass keine Kredite der Banken für die Fortsetzung des Wachstums mehr nötig wurden. Der Kredit ist also nur einmal gebraucht worden, beim Übergang der Wirtschaft zum Wachstum, das weitere Wachstum kann sich vollständig aus dem ersparten Einkommen speisen. Was in den Reproduktionsperiode t+3, t+4, t+5 und den nächsten geschieht, ist im Prinzip genau das, was wir schon zwei mal hatten, als wir nämlich die Investitionen (beim extensiven Wachstum) aus dem ersparten Einkommen bzw. (beim Produktivitätswachstum) aus den Vorsprungsprofiten finanzieren ließen. Was den letzteren Fall betrifft, so lässt sich nicht übersehen, dass die schuldenfinanzierten Investitionen eine auffällige Ähnlichkeit mit ihm haben. So wie die Vorsprungsprofite erzeugen auch sie den Pump-priming-Effekt, damit das Wirtschaftswachstum beginnen kann. Anschließend kann das Wachstum auch mit „gewöhnlichen“ Investitionen, also aus dem ersparten Einkommen, voranschreiten.
Investitionen aus Ersparnissen versus Investitionen aus Krediten bzw. Schulden
Wir haben mit einem numerischen Beispiel die Möglichkeit untersucht, wie durch schuldenfinanzierte Investitionen das Wachstum durchstarten kann. Es sind die Banken, die mit ihren Krediten solche Investitionen möglich machen. Solche Kredite gehören zum normalen Geschäft der Banken, die Frage ist aber, im welchen Umfang diese bereit sind, sie zu gewähren. Vor allem wäre es wichtig zu wissen, ob sie solche Kredite während der Depression im nötigen Umfang zu gewähren bereit sind. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns die Interessenlage der Banken näher anschauen.
Die Bank hat es im obigen Beispiel möglich gemacht, dass ein völlig neues Mitglied der Gesellschaft zum Besitz von Produktionsmitteln gelangt. Wie bereits hervorgehoben, ist dies nicht eine gute Tat der Bank, sondern sie verfolgt damit ihre eigenen Interessen. Das neue Unternehmen wird bekanntlich der Bank einen Teil seiner zukünftigen Gewinne abtreten, was man als Zinszahlung bezeichnet. Die Bank hat sich außerdem beim Neuling zugleich auch gegen die Risiken abgesichert. Im Kreditvertrag musste der Kreditnehmer sozusagen sein Eigentum verpfänden. Wie heißt es in der Bibel: „Wer hat, dem wird gegeben.“ Würde die Bank anders handeln, würde man ihr zumindest den Vorwurf der Fahrlässigkeit machen, oder man würde sie gar der Kungelei und Korruption beschuldigen, und dies zu Recht.
In unserem obigen Beispiel haben die schuldenfinanzierten Investitionen noch eine Bedingung erfüllt, die für das Durchstarten der Wirtschaft von entscheidender Bedeutung ist. Diese Bedingung wird auch als Reallokation der Produktionsmittel bezeichnet. Sollte die Wirtschaft wirklich von einer starken innovativen Welle erfasst werden, müsste diese Bedingung nicht erfüllt werden - wie wir es schon erörtert haben. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob die innovativen Investitionen überhaupt je alleine ausreichen würden, die kapitalistische Wirtschaft aus der Depression zu befreien. Ist dies nicht der Fall, dann ist für das Durchstarten des Wachstums auch die Reallokation der Produktionsmittel von Bedeutung. Sie ist eine Bedingung, der auch die einkommensfinanzierten Investitionen genügen müssen, deshalb ist es angebracht, ein paar Worte mehr dazu zu sagen.
Seit Jacques Turgot (Réflexions, 1766) oder spätestens seit Adam Smith (Wealth, 1776), hat sich die Auffassung verfestigt, dass man für mehr Wohlstand mehr Kapital benötigt, und dass die Vermehrung des Kapitals einen vorübergehenden Konsumverzicht voraussetzt. In dem von uns benutzten Weizenbeispiel, das sich in verschiedenen Variationen bei zahlreichen älteren Ökonomen finden lässt, ließ sich das schnell verdeutlichen: Wenn die Bauer mehr Weizen als Saatgut investieren wollten, blieb ihnen nämlich nichts anderes übrig, als weniger Weizen zu essen. Die Steigerung der Weizenproduktion verlangt also eine Reallokation des Weizens aus dem Konsumbereich in den Produktionsbereich. Karl Marx hat später den Weizen als eine veraltete Metapher aus der ökonomischen Analyse weggeräumt und ihn durch Maschinen ersetzt (Das Kapital, 1894). Das Problem stellt sich dann so: Zuerst müssen Maschinen hergestellt werden, mit denen sich die Maschinen für die Konsumproduktion herstellen lassen. Marx hat aber richtig schlussgefolgert, dass die Unternehmen („Abteilung 1“), die Maschinen herstellen, nicht genug Maschinen haben, um noch mehr Maschinen herzustellen. Es bleibt dann nichts anderes übrig, als die nötigen Maschinen vorübergehend den Unternehmen, die Konsumgüter herstellen („Abteilung 2“), zu entziehen. Aus dem ersten Bild dieses Beitrags lässt sich dies unmittelbar entnehmen. Marx hat in seinen Reproduktionsschemata diese Reallokation der Produktionsmittel - von der „Abteilung 2“ zu der „Abteilung 1“ - mit numerischen Beispielen erklärt, was für die damalige Wirtschaftswissenschaft ein großer Fortschritt war. Hat nämlich Quesnay in seinem Kreislaufmodell (Tableau économique) nur eine stationäre (landwirtschaftliche) Wirtschaft behandelt, war die kreislauftheoretische Untersuchung der Kapitalakkumulation (die erweiterte Reproduktion) von Marx das erste Wachstumsmodell in der Geschichte der ökonomischen Analyse.
Nachdem wir auch die Reallokation als Bedingung berücksichtigt haben, welche die schuldenfinanzierten Investitionen erfüllen müssen, um dem Wachstum auf die Sprünge zu helfen, können wir erst recht skeptisch sein, ob die privaten Banken wesentlich zur Erholung einer Wirtschaft beitragen würden. Außerdem haben wir die Interessenlage der Banken immer noch nur sehr ungenügend berücksichtigt. Die Depression ist nämlich ein Zustand der allgemeinen Überproduktion, so dass die Banken noch weniger risikobereit sind. Außerdem bieten sich ihnen dann andere, viel lukrativere „Geschäftsmodelle“ - dazu aber später. Wir können es einfach nicht den Banken überlassen, dass sie uns aus den Depressionen wegkreditieren, sondern diese Aufgabe muss der Staat übernehmen. Das werden wir uns im nächsten Beitrag näher anschauen.
Abschließend zu dem Gesagten sollte noch Schumpeter erwähnt werden. Er bestand bekanntlich darauf, dass Kredite besitzlosen Unternehmen zugeteilt werden sollten, die mutig genug sind, neue technische Erfindungen, die gerade von irgendwelchen Bastlern in den Autogaragen entdeckt wurden, investiv umzusetzen. Ob Schumpeter selber diesem Rat gefolgt ist, als er vier Jahre lang (1921-1925) Präsident der Biedermann-Bank war, werden wir nie genau erfahren können. Sicher ist aber, dass er die Bank in die Pleite geführt hat. Möglicherweise hat er wirklich geglaubt, dass Kredite aus nichts entstehen, so dass es folglich auch keine Gläubiger der Bank geben dürfte, die bei der Nichtrückzahlung der Kredite zu Schaden gekommen wären. Ob er die betrogenen Gläubiger seiner Bank davon je überzeugen konnte, darf man bezweifeln. Möglicherweise hat sich ihm keine Gelegenheit geboten, dies mit ihnen zu klären. Nachdem er in der Praxis als Bankier kläglich gescheitert ist, wurde er nämlich zum Professor für Finanzwissenschaften - zuerst in Deutschland, und ab 1932 an der Universität Harvard in den USA.
Seiner Theorie über die kurzen, mittleren und langen Entdeckungswellen folgend, verlangte Schumpeter von den Banken, dass sie gerade während der Depression Kredite massenhaft schöpfen, also ausgerechnet dann, wenn es eine allgemeine Überproduktion gibt. Das sei angeblich der Augenblick, in dem eine neue Welle der Innovation anläuft, die man folglich finanzieren müsse. So wurde die Kreditschöpfung in seiner Theorie „das monetäre Ergänzungsstück zur Einführung einer Innovation“. Die Kredite der Banken, und das ist der neue und interessanteste Aspekt seiner Kredittheorie, würden nicht aus den Ersparnissen entstehen, aber gerade deshalb ist es überhaupt möglich, die Innovationen zu finanzieren. Wie alles andere in seinem theoretischen Werk, hat Schumpeter auch Investitionen aus den Krediten im Rahmen seiner Theorie der ökonomischen Zyklen nie anders als verbal „erklärt“ und vertreten - sein Werk Konjunkturzyklen zum Beispiel hat mehr als 1000 Seiten. Seltsam für jemanden, der die analytische Strenge über alles schätzt. Auch hier zeigt sich, dass sich mit Worten mit beliebiger Unschärfe über die Schwierigkeiten hinweg gleiten lässt, so dass man alles „beweisen“ kann, woran man zuvor schon glaubte. Eine genaue quantitative Analyse, die wir mit innovativen und schuldenfinanzierten Investitionen durchgeführt haben, zeigt, dass bei Schumpeter, auch wenn es um seine Kredittheorie geht, der Wunsch der Vater des Gedankens war und dass seine Große Erzählung über die kreditfinanzierten Innovationen analytisch falsch ist. Kurz zusammengefasst:
Ein Bedarf für Kreditschöpfung entsteht nicht deshalb, weil es Innovationen gibt. Gerade bei den innovativen Investitionen braucht man im Prinzip keine schuldenfinanzierten Kredite der Banken. Die Kredite sind dann für die Erholung der Wirtschaft unbedingt nötig, wenn wenige oder keine innovativen Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Auch wenn Schumpeters Kredittheorie analytisch falsch ist, ihre praktischen Ratschläge verdienen trotzdem viel Lob. Da es der Wirtschaft - wegen des Nachfragemangels - immer droht, unter ihre produktive Möglichkeiten zurückzufallen oder gar abzustürzen, kann es in der Praxis nie verkehrt sein, wenn die Banken bereit sind, neue Unternehmen zu finanzieren. Und schon gar nicht kann es falsch sein, wenn Banken ihre Kredite für innovative Investitionen Outsidern zur Verfügung stellen. Ob dies die privaten Banken auch können oder wollen, steht aber - wieder einmal - auf einem anderen Blatt. Die innovativen Investitionen sind nämlich risikoreich. Hier muss der Staat nachhelfen, was unser nächstes Thema ist.
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