3. Phase des ökonomischen Zyklus der Marktwirtschaft: Die Hochkonjunktur (Boom)
  Das spekulative Sparen als staatlich legalisierte Plünderung der Bürger (3)
       
 
Geldverleihern und Wucherern um sie herum, ist eine enorme Zentralisation und gibt dieser Parasitenklasse eine fabelhafte Macht, nicht nur die industriellen Kapitalisten periodisch zu dezimieren, sondern auf die gefährlichste Weise in die wirkliche Produktion einzugreifen - und diese Bande weiß nichts von der Produktion und hat nichts mit ihr zu tun.
 
    Karl Marx   
       
 
Ich sehe in naher Zukunft eine Krise heraufziehen. In Friedenszeiten schlägt die Geldmacht Beute aus der Nation und in Zeiten der Feindseligkeiten konspiriert sie gegen sie. Sie ist despotischer als eine Monarchie, unverschämter als eine Autokratie, selbstsüchtiger als eine Bürokratie. Sie verleumdet all jene als Volksfeinde, die ihre Methoden in Frage stellen und Licht auf ihre Verbrechen werfen. Eine Zeit der Korruption an höchsten Stellen wird folgen, und die Geldmacht des Landes wird danach streben, ihre Herrschaft zu verlängern, bis der Reichtum in den Händen von wenigen angehäuft und die Republik vernichtet ist.
 
    US-Präsident  Abraham Lincoln  kurz vor seiner Ermordung   
       
 
Der Finanzsektor befindet sich in der Lage, grenzenlos bis zu jenem Punkt wachsen zu können, an welchem er schließlich die Realwirtschaft völlig ausgeblutet hat. Die Entwicklung ist vergleichbar mit einem Krebsgeschwür, dessen Wachstum außer Kontrolle geraten ist. ... Wenn wir den Status Quo beibehalten, wird sich der Kapitalismus selbst zerstören. Statt Auseinandersetzungen im Nahen Osten und Nordafrika werden wir Bürgerkriege im Westen haben, so ernst ist die Lage. Letztlich werden die Leute gegen die Banken auf die Barrikade gehen, wenn die die Realwirtschaft weiterhin fertig machen.
 
    Paul Woolley: „Der Finanzsektor blutet uns aus“   

 

Wir haben im vorigen Beitrag erklärt, wie an der Börse riesige Gewinne erwirtschaftet werden und wie die Aktionäre ganz legal betrogen werden. Wir haben uns dabei mit einem Beispiel beholfen, in dem am Anfang eine entsetzlich qualmende Fabrik stand, welche Aktien emittierte, um sich Finanzmittel für ihre realen Investitionen zu besorgen. Damit sollte mit Nachdruck unterstrichen werden, dass für die Ausplünderung der Aktionäre bereits „klassische“ Produkte der Börse, also „gewöhnliche“ Aktien völlig ausreichen. Die Börse hatte jedoch schon immer auch andere Wertpapiere im Angebot als Aktien in reale Investitionen. Zu den exotischsten gehören etwa die Tulpen im 17. Jahrhundert.... >Aber was auch immer hinter den Wertpapieren steckt, das Rezept ist immer das gleiche: Billig kaufen und teuer verkaufen. Nichts als das steckt auch hinter den „innovativen“ Produkten der Börse der letzten Zeit, hinter den Versicherungen oder Wetten, auch Derivate genannt. Wir erklären jetzt an einem weiteren einfachen Beispiel, worum es sich dabei handelt.

Wie aus einem harmlosen Bauern ein Produzent von Derivaten wird

Beim Entstehen der Wirtschaftswissenschaft war der Bauer eine Lieblingsfigur der Ökonomen, aber das ist schon lange her. Trotzdem haben wir keinen Grund, ihn zu meiden. Wir nehmen ihn in unser nächstes Beispiel auf. Es sollte aber ein Bauer aus unserer Zeit sein. Als solcher produziert er für den Markt, und von dort versorgt er sich mit all dem, was er für sich und seinen Bauernhof benötigt. Weil also der Markt über die Preise der Produkte unseres Bauern bestimmt, ist er dem Markt auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Wir gehen jetzt von einer Situation aus, in welcher der Markt gute Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse verspricht. So gnädig war der Markt den Bauern gegenüber schon etliche Jahre nicht mehr. Deshalb ist auch unser Bauer auch so gut gelaunt wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Auch das Wetter hat mitgespielt, so dass seine Ernte in diesem Jahr sehr gut ausfallen wird.

Seit einigen Wochen ist unser Bauer schon wieder niedergeschlagen und gereizt. Er springt manchmal in der Nacht aus seinem Bett, in Schweiß gebadet. Sein Alptraum ist immer derselbe: Er hat sich entschieden, seinen schon veralteten Maschinenpark zu erneuern. Daran konnte er schon jahrelang nicht mehr denken, in diesem Jahr will er dies wagen. Wann sonst, wenn nicht bei solch günstigen Umständen? Der Bank war die Lage der Landwirtschaft natürlich auch schon längst bekannt, und sie war gerne bereit ihm einen ordentlichen Kredit unter relativ günstigen Konditionen zu verleihen. Nach der Ernte würde er seinen Kredit problemlos zurückzahlen können. Aber kurz vor der Ernte - so sein Alptraum - sind die Preise drastisch gefallen, so dass er danach praktisch im Konkurs war. Sein Bauernhof, den sein Vater von seinem Vater und dieser von seinem Vater geerbt hat, war nun endgültig ruiniert - wie schon viele Bauernhöfe in der Umgebung.

Wer Sorgen hat, hat auch Likör, sagt der Spruch. Nach einer wieder nicht durchgeschlafenen Nacht, irrte unser sorgengeplagte Bauer durch das Dorf, und ohne es zu merken, stand er plötzlich vor seiner Kneipe. Was soll’s - sagte er sich. Vielleicht stimmt das mit dem Likör. An den Gästen vorbei, ohne jemanden richtig wahrzunehmen, wollte er sich gerade hinsetzen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Es war sein alter Bekannter: ein Großhändler. Er sah so aus, wie der Bauer ihn schon seit einer Ewigkeit kannte: elegant angezogen, mit Krawatte und Aktentasche, gut gelaunt und er grinste fröhlich über das ganze Gesicht. Natürlich wollte unser Bauer ein bisschen mit ihm über die Preise und Ernte plaudern. Dieser war sozusagen schon immer seine wichtigste Informationsquelle - sein Geheimtipp. Der Bauer erzählte ihm dann, was er dieses Jahr anbaute, wie viel er davon hat und was er sich davon erhofft. Weil gute Preise zu erwarten seien, sagte der Bauer, erhoffe er sich mindestens 110 Tsd. Er hat diese Summe auf eine ganz lockere Weise ausgesprochen, als wäre dies eine langweilige Selbstverständlichkeit, in einem Winkel seines Auges hat er dabei den Großhändler visiert. Dieser blieb ganz ruhig. Das war ein deutliches Signal. Und in der Tat brauchte der Bauer nicht lange zu warten. Der Großhändler legte ein Angebot auf den Tisch: Er würde ihm 90 Tsd. geben, und sie könnten dies sofort vertraglich verbindlich regeln. So etwas kam für den Bauern nicht in Frage. Auch für 100 Tsd. war er noch nicht bereit das Angebot anzunehmen. Er willigte ein, als ihm der Händler noch ein zusätzliches Geschäft anbot: Weil er nicht wüsste, wann er die Ernte übernehmen könnte, würde er diese in seinem Schuppen lagern. Dafür würde er dem Bauern für jeden verstrichenen Monat noch 1 Tsd. zahlen. Das war schon überzeugend.

Als der Bauer die Kneipe verließ, steckte in seiner Tasche ein Vertrag. Er hat seinen Verdienst für dieses Jahr abgesichert. Nur das Wetter bzw. der liebe Gott könnte noch einen Strich durch seine Rechnung machen, aber aus seiner langen Erfahrung weiß der Bauer, dass dort bei Weitem nicht so große Gefahr lauert wie vom Markt. An diesen Abend fiel der Bauer wie ein Stein in sein Bett und schlief so fest, dass sich seine Frau am nächsten Morgen richtig erschrak, weil sie ihn lange nicht wecken konnte. Der nächste Sonntag war beim Bauern fest verplant. Er und seine Frau fuhren auf die Messe der landwirtschaftlichen Maschinen.

Der Großhändler, mit mehreren Verträgen in seiner Aktentasche, besuchte mittlerweile seinen guten Freund, einen Börsenmakler. Dieser hat ihm all diese Verträge abgenommen. Für den Vertrag von unserem Bauern ließen sich 5 Tsd. abkassieren. Aus dem Vertrag wurde danach ein Wertpapier, ein Derivat, das am Anfang eines langen Weges durch die Börse stand. Bis zu seiner Fälligkeit wird der Vertrag mit vielen Wertpapieren Bekanntschaft machen und viele male den Besitzer wechseln.

    bauer haendler
100Tsd
5 Tsd.
          derivat
                  B ö R S E

Der Großhändler war der erste, für den das Geschäft mit dem Gewinn von 5 Tsd. endgültig abgeschlossen war, und er hat die ganze Angelegenheit sofort vergessen. Der Bauer, diesmal mit neuen Maschinen, hat die Ernte in seinem Schuppen gelagert und gleich danach - so wie es im Vertrag stand - seine 100 Tsd. erhalten. Davon hat er zuerst seinen Kredit abbezahlt und er war dann wirklich alle Sorgen los - für dieses Jahr. Am Anfang des nächsten Jahres bekam er Besuch. Starke Männer haben alles, was in seinem Schuppen lag, auf einen Lastwagen geladen, ihm noch 5 Tsd. für die Lagerung ausbezahlt und sich höflich verabschiedet. Die Börsenspekulanten haben nämlich die neue Ernte nicht gleich im Herbst auf den Markt platziert, weil sie die Preise nach oben treiben wollten. So etwas ist im Prinzip strafbar, aber dass so etwas überhaupt stattgefunden hat, konnte den Spekulanten keiner je nachweisen - so etwas wird eben als Gentlemen’s Agreement durchzogen. Wie immer, die Medien haben sich darüber empört und die Politiker ihre leeren Drohungen posaunt, aber wo es keinen Kläger gibt, gibt es auch keinen Schuldigen. Dem Bauern konnte dies nur Recht sein. Für ihn wäre es sogar noch besser, wenn die Machenschaften der Spekulanten noch die restlichen 7 Monate andauern würden, weil ihm dies noch 1 Tsd. pro Monat bringen würde - sein Schuppen war schließlich auch eine Investition, die sich rentieren will.

Der wirkliche Absahner war natürlich der Börsenmakler. Er konnte für die Ernte, sprich Wertpapier, sprich Derivat 130 Tsd. erzielen. Grob gerechnet betrug sein Gewinn 20 Tsd., was im Verhältnis zu den Gesamtkosten von 10 Tsd. einen Profit von 200% ergibt. Wo sonst könnte man so viel verdienen? Alle drei Marktakteure waren also höchst zufrieden damit, wie großartig das System der uneingeschränkten Freiheit funktioniert. Der Bauer wird nächstes mal wieder seine CDU wählen, der Großhändler und Börsenmakler natürlich die FDP.

Erwähnen wir nur beiläufig, dass die landwirtschaftlichen Produkte bisher nicht so sehr von den Börsen beachtet wurden. Das kann sich natürlich ändern, wenn etwa die Landwirtschaft im größeren Umfang Energiepflanzen zu produzieren beginnt. Die Derivate waren bisher vor allem für die arabischen Scheichs, die australischen Minenbetreiber und die russischen Oligarchen interessant, die sich dadurch gegen den Preisverfall auf der Börse schützten. Aber wenn es um das Verstehen dessen geht, was Derivate sind und was mit ihnen an der Börse angestellt wird, haben wir es nicht nötig, über unser Beispiel mit dem Bauern hinauszugehen.

Die Derivate als Wetten, als Versicherungen und als Schneeballsystem (Pyramidensystem)

Man hört immer wieder, dass an der Börse Wetten abgeschlossen werden, und Derivate werden auch als Wetten bezeichnet. Aber unser Beispiel hat mit einer Wette doch gar nichts zu tun! Oder doch? Jein. Es hängt davon ab, wie man etwas versteht - wie man es interpretiert. In unserem Beispiel ging es zweifellos um eine Versicherung, und wie jede Versicherung lässt sich auch diese in der Tat als Wette interpretieren. Ein Beispiel:

Wenn ich meinen Wagen versichere, habe ich mit der Versicherung sozusagen gewettet, dass ich einen Verkehrsunfall haben werde. Hatte ich wirklich einen, habe ich die Wette gewonnen und die Versicherung muss mir den Schaden zahlen. Die Versicherung wettet mit mir, dass ich keinen Unfall haben werde. Hatte ich wirklich keinen, hat dann sie die Wette gewonnen und sie behält meine Einzahlungen.

Ob es trotzdem an den Haaren herbeigezogen ist, Derivate als Wetten zu bezeichnen, kann uns wirklich gleich sein. Geschmacksache! Eine Form von Versicherung sind die Derivate auf jeden Fall, und als solche sind sie im Grunde sinnvoll und nützlich. Aus unserem Beispiel ist dies einsichtig. Dem Bauern war das Risiko zu investieren zu groß, deshalb hat er sich mit dem Vertrag gegen den Preisverfall abgesichert. Von seinem mikroökonomischen Standpunkt aus hat er ökonomisch rational gehandelt. Man kann aber fragen, ob diese Art der Versicherung für ihn die beste wäre, die man sich überhaupt vorstellen kann. Sie hat ihn nämlich 30 Tsd. gekostet, was nebenbei bemerkt voraussichtlich weniger ist als der reine Gewinn seines Bruttoeinkommens von 100 Tsd. Wäre es für den Bauern nicht besser, wenn der Staat ihn - wie bei der Fahrzeugversicherung - mit anderen Bauern gezwungen hätte, eine für sie zuständige Pflichtversicherung zu gründen? Wäre das für sie nicht billiger? Aber nicht nur der Bauer ist das Opfer der Abzocke. Die Derivate werden immer weiter an private Einkommensbezieher verkauft, zu immer höheren Preisen, so dass die Börse weiter an ihnen verdient, obwohl dadurch für die Gesellschaft nichts Nützliches geleistet wird. Es ist ein Nullsummenspiel, wo fast immer eine Seite verdient.

Aber die „Versicherungen“, die nach dem Muster unseres Beispiels als Derivate an der Börse gehandelt werden, sind für die Börsenmakler nicht einmal das beste Geschäft, das sie sich vorstellen könnten. Hinter dem Derivat steht nämlich eine gesetzlich festgelegte Verpflichtung dem „Versicherten“ gegenüber. Außerdem ist ein Derivat etwas wie eine Wette, die als solche verloren werden kann. Wir sind im obigen Beispiel davon ausgegangen, dass die Preise gestiegen sind, dass für die Ernte des Bauern sogar 130 Tsd. erzielt werden konnten. Es hätte aber durchaus passieren können, dass wegen des Preisverfalls die Ernte weniger als 100 Tsd. bringt. Dann würden die Börsenspekulanten Verluste einfahren. Natürlich haben sie vorher dafür gesorgt, dass sie die Derivate den anderen unterjubeln, aber das müsste ihnen nicht immer gelingen. Es gibt aber auch Geschäftsmodelle, die kein Risiko für die Investmentgesellschaften bedeuten. Um eine neue Erfindung handelt es sich dabei nicht. Solche Geschäfte funktionieren nach dem altbekannten Ponzi-Schema. Die private Rentenversicherung ist ein gutes Beispiel, um zu verdeutlichen, wie dieses „innovative“ Produkt der Börse funktioniert.

Es war immer so in der Geschichte - und es wird nie anders sein können -, dass die Jungen für die Alten aufkommen. Nachdem es klar wurde, dass der Kapitalismus die egoistischsten Triebe fordert und fördert und damit auch die Familie zerstört, hat der stockkonservative Politiker Bismarck die Jungen gesetzlich verpflichtet, den Alten die Rente zu zahlen. Dieses Umlageprinzip würde sogar in einer Gesellschaft der Kantischen Teufel funktionieren. Es handelt sich in der Tat um die einfachste und billigste Lösung dafür, wie man den Älteren eine menschenwürdige Existenz sichern kann. Damit alles reibungslos funktioniert, braucht man nämlich nur wenige Staatsbeamten. Das Finanzsystem sah hier eine riesige Quelle des Profits und hat alles getan, aus der staatlichen Rentenversicherung eine an der Börse gehandelte Versicherung zu schaffen. Das Totschlagargument kennen wir: Unser bisherige Rentenversicherung würde angeblich nicht funktionieren, weil uns Kinder fehlen, die später in die solidarische Kasse einzahlen sollten. Deshalb sollten nicht unsere Kinder unsere Renten finanzieren, sondern die Wirtschaft, aus ihren Dividenden. Die private Rentenversicherung sollte eine Kombination aus dem Solidaritätsprinzip und dem Volkskapitalismus sein. Was hier vor sich ging, unterscheidet sich im Prinzip gar nicht so sehr von der bereits beschriebenen Abzocke mit den Aktien, nur die Reihenfolge ist ein bisschen anders, vor allem am Anfang.

  Die Abzocke mit den Aktien
  1. Schritt:       Ein Unternehmer ergreift die Initiative. Er emittiert Aktien, um Einkünfte der Bürger aus der realen Wirtschaft für die Erweiterung seiner (realen) Investitionen zu bekommen.     
  2. Schritt:       Eine Investmentgesellschaft kauft die Aktien.     
  Die Abzocke mit der Rentenversicherung
  1. Schritt:       Eine Investmentgesellschaft ergreift die Initiative. Sie verkauft Versicherungen, welche mit den Einkünften der Bürger bezahlt werden.     
  2. Schritt:       Ein Teil der Einkünfte wird in der realen Wirtschaft investiert, der Rest sind Gewinne.     

Nebenbei kann bemerkt werden, dass die Globalisierung es dem Finanzsektor möglich gemacht hat, besonders gewinnbringend zu investieren, indem man mit Investitionen dorthin gehen konnte, wo die Politiker am korruptesten sind. Früher führte der Weg in die südlichen Entwicklungsländer, dann haben sich die exkommunistischen Länder als eine richtige Goldgrube erwiesen. Das Gros des investierten Geldes der Aktionäre bzw. der Rentenversicherer wird dort einfach den zahlreichen Analysten und Beratern, den Helfern und Helfershelfern zugeschoben - also den Kumpanen. Nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass die Investition doch nicht rentabel ist, und wenn die lokalen Politiker nicht mit immer neuen Erleichterungen und Subventionen aushelfen, zieht man einfach weiter. Der frühere tschechische Präsident Vaclav Havel fasste diese Erfahrung mit den fliegenden Globalinvestoren - den modernen Heuschrecken - wie folgt zusammen:

„Unsere Städte sind umzingelt von Gewerbegebieten, die wir den Ausländern wie eine Prostituierte anbieten. Wenn der Investor dann nach fünf Jahren wegen niedrigerer Löhne nach Pakistan zieht, ist kein Feld mehr übrig, keine Wiese, kein Wald, kein Dorf, keine Stadt. Als Erbe unserer Kurzsichtigkeit bleibt dort nur ein postmodernes Nichts.“

Es ist nicht unberechtigt zu sagen, dass bei der privaten Rentenversicherung der 2. Schritt vor dem 1. Schritt kommt. Der weitere Unterschied ist darin zu sehen, dass bei solchen Versicherungen die Investmentgesellschaften im Prinzip keine Kredite der Banken nötig haben. Sie finanzieren sich von alleine. Sonst unterscheiden sich die Versicherungen nicht mehr von den „klassischen“ Aktien. An ihnen zu verdienen bedeutet, sie immer teurer zu verkaufen. Im Endergebnis haben wir es dann mit demselben Phänomen zu tun, das wir schon bei den Aktien beschrieben haben: Der Marktwert der Versicherungen entkoppelt sich immer weiter von dem realen Kapitalwert, auf den sich die Versicherungen beziehen. Das bedeutet, dass die gleiche Dividende an eine immer größere Zahl von Besitzern der Wertpapiere ausgeschüttet wird. Deshalb sprechen die Investmentgesellschaften ungern über Dividenden, dann würde der Betrug schnell auffallen, sondern sie sprechen über die Wertsteigerung des Investmentfonds. Schon hier lässt sich ahnen, dass wir es mit einem Geschäftsmodells nach dem Ponzi-Schema... >zu tun haben, auch genannt Schneeballsystem oder Pyramidensystem.

Zuerst wächst der Rentenfond, und die Nachfrage lässt auch den Preis aller früheren Anteile steigen. Die Anleger haben den Eindruck, immer reicher zu werden. Irgendwann werden aber die ersten Versicherten in Rente gehen und ihre Anteile verkaufen. Und wer wird diese kaufen? Die Kinder der Versicherer? Aber wir haben eben gesagt, dass es diese Kinder nicht geben wird. Die Afrikaner und Inder werden voraussichtlich weiterhin Kinder im Überfluss haben, aber diese würden kein Geld haben - vor allem für Wertpapiere nicht. Sollten etwa die chinesischen Kinder unsere Aktien kaufen?

Die private Rentenversicherung braucht also Kinder genauso, wie das staatliche Umlagemodell. Der Unterschied besteht nur darin, dass die private Rentenversicherung unvergleichbar teurer ist als die staatliche nach dem Umlageprinzip. Nur diejenigen werden die private Rentenversicherung genießen und gut finden, die zuerst in Rente gehen werden. Aber nicht alle werden sich dieses Glücks eines frühen Sterbens erfreuen können. Erreichen die Auszahlungen irgendwann einen relevanten Anteil des Rentenfonds - vorausgesetzt die Börse bricht bis dann nicht zusammen -, wird sich herausstellen, dass es kaum was zu verteilen gibt. Das ist das unvermeidliche Ende jedes Schneeballsystems oder Pyramidensystems.

Aber - würde man hier entgegnen - der Staat bürgt auch für die private Rentenversicherung. Sie müsste dann sicher sein. Wer ist aber dieser Staat? Es sind die Politiker, die mehr im Hinterzimmer mit den Bankiers und Börsenmaklern verweilen als auf den parlamentarischen Bänken. Aber wie dem auch sei, sollte der Staat sogar wirklich für die privaten Renten - zumindest in einem minimalen Umfang - bürgen, was würde dies bedeuten? Woher wird er nämlich das Geld nehmen, das der Finanzsektor schon längst beiseite geschafft hat, um die garantierten Renten auszubezahlen? Seine einzige Möglichkeit sind Steuern. Das bedeutet im Klartext: Die Bürger haben lebenslang für ihre private Rente eingezahlt, später zahlen sie Steuern, damit sie die schon einmal bezahlte Rente bekommen können.

Die Börsenmakler als legale Giftmischer und Brunnenvergifter

Es ist nicht von ungefähr, dass der Vertrag unseres Bauern im obigen Bild (rechts) in eine Schachtel eingepackt wurde und diese dann in die nächste Schachtel. Wir könnten diese Verpackung weiter auf die gleiche Weise fortsetzen, aber wegen der Übersichtlichkeit des Bildes haben wir es nicht getan. Damit ist Folgendes gemeint: Die Investmentgesellschaft verkuppelt den Versicherungsvertrag mit anderen Wertpapieren - dies könnten etwas die Aktie der entsetzlich qualmenden Fabrik aus unserem vorigen Beitrag sein -, verschiedene Wertpapiere werden also zusammengeführt (verbrieft) und als sogenannte innovative „Finanzprodukte“ in alle Welt verkauft. Genauer gesagt, die schlechten Wertpapiere werden den (noch) rentablen Wertpapieren beigemischt und alles als erstklassig oder eventuell „nur“ als „zweitklassig“ (subprime) den Kunden untergejubelt. Dies ist eine weitere Machenschaft, wie man die Preise der Wertpapiere nach oben treiben kann. Wir haben sie bei den „klassischen“ Aktien außer Acht gelassen, nicht weil sie dort weniger wichtig wäre, sondern weil wir sie hier erläutern wollten.

Man kann schließlich die heutigen Börsenmakler als moderne Giftmischer und Brunnenvergifter betrachten. Der Unterschied zu früher ist nur darin zu sehen, dass diese Machenschaften heute völlig legal sind. Durch sie sollte sogar die ökonomische Effizienz der freien Märkte steigen. Hier zeigt sich noch einmal in aller Deutlichkeit, wo der Weg zu immer mehr Freiheit hinführt: in Betrug, in Erpressung und in Beraubung der Schwächeren durch den Stärkeren. Das und nichts anderes bedeutet die real existierende Ordnung der uneingeschränkten Freiheit. Wie könnte ein böser und rücksichtloser Mensch dem anderen schaden, wenn er nicht die volle Freiheit dazu hätte? So wie es einst Rousseau treffend ausdrückte: „Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit.“

Die Börsengeschäfte der Banken als legaler Betrug an kleinen Sparern

Wir haben bisher stillschweigend angenommen, dass die Banken die Ersparnisse von kleinen Sparern ansammeln und sie als Kredite an Unternehmen vermitteln. Die Unternehmen verpflichten sich, diese Kredite zurück zu zahlen - mit den Zinsen - und sie haften für ihre Schulden mit ihrem Vermögen. Geht ein Unternehmen in Konkurs, ist die Bank berechtigt, sein Vermögen zu pfänden und zu verkaufen, um dem Sparer sein Geld zurückzuzahlen. Deshalb gehen die Sparer im Prinzip kein Risiko ein, wenn sie bei der Bank sparen. Ihre Ersparnisse können nur dann ernsthaft bedroht werden, wenn in der Bank fahrlässig und schlampig gearbeitet wurde - und natürlich bei Untreue. Aber diese Gefahr ist bei jeder menschlichen Tätigkeit vorhanden. Anders sieht es beim spekulativen Sparen aus.

Wenn sich ein Einkommensbezieher für den Kauf von börsennotierten Wertpapieren entscheidet, ist er derjenige, der das ganze unternehmerische Risiko trägt. Die Investmentgesellschaft ist hier nur Vermittler und kümmert sich nur um administrative Angelegenheiten. Diese so klare Aufteilung der Aufgaben, die Banken würden mit den Krediten und die Investmentgesellschaften mit den Wertpapieren arbeiten, war nützlich, um etwas einfacher zu erklären. Aber der Wirklichkeit entspricht diese Aufteilung nicht. Die Banken dürfen Handel mit Wertpapieren betreiben und sie tun es auch. Da beginnt der fromme Betrug der ahnungslosen Bürger.

Wenn der kleine Sparer sein Geld bei der Bank einlegt, sagt ihm die Bank nicht, was sie sich vorgenommen hat, mit seinen Ersparnissen zu tun. Der Sparer denkt sich normalerweise dabei, dass sein Geld als Kredit vergeben wird, der mit handfesten Forderungen gegen das Eigentum des Kreditnehmers vertraglich abgesichert wird. So etwas kennt nämlich jeder, der in seinem Leben einen Kredit aufgenommen hat, und dazu gehören ziemlich alle. Da täuscht sich aber der kleine Sparer. Die Bank muss keine Kredite vergeben, sondern sie kann ihr zur Verfügung stehende Ersparnisse in Wertpapiere stecken. Genau das haben die Banken in der letzten Zeit in einem immer größeren Umfang getan. Solange der Marktpreis der Aktien gestiegen ist, konnten sie dadurch viel mehr verdienen als mit den üblichen Krediten. Diese Gewinne wurden dann schnellstmöglich über verschiedene Boni, Gratifikationen und Gewinnbeteiligungen verteilt - also privatisiert und in Sicherheit gebracht. Was geschieht aber, wenn der Wert der Wertpapiere fällt?

Jede seriöse Bank hat ihre Pläne über Einnahmen und Ausgaben. Langfristig betrachtet müssen diese ausgeglichen werden. Je mehr eine Bank mit Einahmen aus spekulativen Anlagen rechnet, desto mehr ist sie von dem unerwarteten Preisverfall der Aktien betroffen. Um ihren Verpflichtungen nachzugehen, wird sie dann zuerst versuchen, mehr Wertpapiere als geplant zu verkaufen. Dadurch wird das Angebot der Wertpapiere steigen und ihr Preis weiter fallen. Wenn dies eine größere Zahl von Banken tut, beginnt eine Kettenreaktion, die mit einem Börsensturz enden kann. Im Endergebnis werden sich die Banken nicht genug Geld für die eingeplanten Ausgaben besorgen können, sie werden zahlungsunfähig, und erst recht würden sich nicht neue Kredite vergeben können. Man bezeichnet dies als Kreditklemme. Die reale Wirtschaft steht dann vor dem Zusammenbruch.

In der herrschenden ökonomischen Lehre ist so etwas nicht vorgesehen, so dass auch kein „Wirtschaftswissenschaftler“ vorhersagen konnte, dass so etwas im Herbst 2008 kommen wird. Die Ratingagenturen haben es ebenfalls nicht gesehen und nichts gemeldet. Man muss ihnen zwar nicht glauben, aber es gibt einen guten Grund nicht daran zu zweifeln, dass sie wirklich nichts geahnt hatten. Die Ursachen für einen Börsenabsturz liegen nämlich nicht im Finanzsektor selbst, so dass die Finanzanalysten wirklich nichts merken konnten. Die Ausbeutung der Wirtschaft und Gesellschaft durch die Börse und die Umverteilung von unten nach oben, so ungerecht, kriminell und unmoralisch sie auch sein mag, ergibt nicht die Ursache für eine ökonomische Krise - den zyklischen Zusammenbruch der Marktwirtschaft. Was die wahren Ursachen sind, das wird unser nächstes Thema sein. Bis jetzt ging es uns nur um die Ausbeutung der Wirtschaft und Gesellschaft durch das Finanzsystem, und dazu haben wir schon das Wichtigste gesagt. Es kann mancher enttäuscht sein, dass wir nicht mehr „entdeckt“ haben als schlichte Gauner und Schieber, die durch Preistreiberei das große Geld verdienen. Aber da ist nichts mehr zu „entdecken“. Das Verhängnisvolle an diesen Praktiken ist, dass sie vom Staat, wenn nicht sogar organisiert, dann zumindest erlaubt und gefördert wurden. Wir können uns nun kurz anschauen, wie es mit diesem parasitären System nach der sogenannten Finanzkrise weiter gelaufen ist.

Die Ruhe vor dem Sturm. Was tun?

Die ökonomische Krise, in der wir uns nach dem Herbst 2008 befinden, ist alles andere als überwunden. Wir leben in einer Zwischenzeit der Insolvenz- und Konkursverschleppung. Man kann aber sagen, dass die westlichen Regierungen nicht alles falsch gemacht haben, wie es während der Großen Depression nach dem Schwarzen Donnerstag (1929) der Fall war. Könnte es sein, dass sie die Lehren aus der damaligen Tragödie gezogen haben?

Damals überließ man die Wirtschaft ihren „Selbstheilungskräften“ - mit dem bekannten Ergebnis. Joseph Schumpeter war nicht der einzige, der den Unsinn über die angeblich heilenden Kräfte der Krise verbreitet hat. Milton Friedman hat die Schuld für das ganze Unheil der damaligen Geldpolitik angehängt, wofür er dann auch den Nobelpreis bekam. Es könnte durchaus sein, dass er der geheime Souffleur der heutigen Regierungen war. Aber wie dem auch sei, sie überfluteten diesmal die ausgeplünderten Banken mit Geld, und das Schlimmste haben sie tatsächlich verhindert - vorerst. Damit nicht der Verdacht geweckt wird, dass das ganze System der uneingeschränkten Freiheit versagt hat, wurde die ganze Schuld den gierigen und rücksichtslosen Bankmanagern in die Schuhe geschoben. Anstatt Systemversagen sollte es sich nur um menschliches Versagen handeln. Die Medien begannen richtige Hetzen gegen die Bankmanager zu veranstalten, die sich dermaßen zu Hassausbrüchen und Rachegelüsten steigerten, dass der Oberpriester des deutschen Neoliberalismus, Professor Sinn, schon mahnen musste, dass man aus den heutigen Bankmanagern nicht neue Juden mache. Aber nach erstaunlich kurzer Zeit hat sich die Aufregung gelegt. Woran das liegt, wissen wir nicht genau. Wir können uns aber vorstellen, wie das Treffen der regierenden Politiker, der Vertreter der realen Wirtschaft und des Finanzsektors nach der „Finanzkrise“ ungefähr verlaufen ist.

Nehmen wir an, zumindest einige Politiker und Wirtschaftler gingen nach der „Finanzkrise“ mit voller Wucht auf die Bankmanager los. Diese konnten die Vorwürfe in aller Ruhe über sich ergehen lassen. Dann meldet sich jemand wie etwa Ackermanndorthin  zu Wort und er erklärt in wenigen Sätzen, was Sache ist:

Wir haben im Rahmen der unternehmerischen Freiheit agiert und dabei auch verdient. Ja, wir haben sehr viel verdient, aber wir haben nie gegen die Gesetze der freien Marktwirtschaft und gegen andere verstoßen.“
        Im Klartext: Wir haben getan was wir wollten, aber keiner kann uns was.

Es stimmt, dass die Banken jetzt gewisse Schwierigkeiten haben, die reale Wirtschaft mit Krediten zu versorgen. Es liegt aber nicht an den Banken, sondern an den strukturellen Problemen der Wirtschaft. Solche Probleme kann die Marktwirtschaft alleine lösen, und dann wird wieder alles voran gehen. Das müssen wir aushalten.“
        Im Klartext: Wir sind pleite, aber wir haben damit kein Problem.

Natürlich sind wir bereit, am nächsten Aufschwung mitzuwirken, also die Wirtschaft mit Krediten zu versorgen. Man muss aber unsere Probleme verstehen und ernst nehmen. Man muss uns die uns blockierenden Schulden abnehmen, zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung stellen und vor allem uns dann in Ruhe lassen, damit wir unseren Verpflichtungen nachgehen können.“
        Im Klartext: Wir werden weiter nur das tun, was wir bisher getan haben.

Das Ergebnis zeugt davon, dass die vielen Treffen der Regierungen mit den Vertretern des Finanzsystems ähnlich verlaufen sind, und dass die letzten sich auf der ganzen Linie durchgesetzt haben. Kein „Bankster“, wie sich der US-Präsident Roosevelt nach der Großen Depression des vorigen Jahrhunderts ausgedrückt hat, wurde zur Verantwortung gezogen. Die Schrottpapiere aus dem Finanzsektor wurden in eine „bad bank“ ausgelagert, die man dann im Nachhinein, langsam und unauffällig auf Kosten der Steuerzahler entsorgen wird. Damit waren die Verluste der Banken weg: sie wurden über Nacht schuldenfrei. Mit den „Finanzschirmen“ hat man ihnen ermöglicht, dass sie Kredite an die reale Wirtschaft geben können. Das Fieber der schwer kranken Wirtschaft fiel ab, die Krankheit ist aber noch nicht geheilt. Aber auch das ist mehr als nichts. Überlegen wir noch kurz, was die Alternative wäre?

Die Linken schreien immer nach Verstaatlichung, diesmal nach der Verstaatlichung der Banken, weil ihnen gesagt wurde, dass es sich um eine Finanzkrise handele. Was hätte man aber bei den kollabierten Banken noch verstaatlichen können? Die Gewinne aus den guten Zeiten wurden schon längst beiseite geschafft. Ja, man könnte dann zumindest die Manager feuern, aber was würde man damit gewinnen? Wenn auf der zweiten hierarchischen Ebene im Finanzsektor moralisch ganze andere Menschen, die sogenannten Gutmenschen, auf ihre Chancen warten würden, dann hätte dies einen Sinn. Aber so ist es bestimmt nicht. Eine Entlassung des bisherigen Management wäre zweifellos ein Akt der Gerechtigkeit, das würde aber den Steuerzahler teuer zu stehen kommen. Die Führungskräfte im Finanzsystem haben bekanntlich Jura studiert, auf jeden Fall sind sie von einer Schar von Juristen umgeben, die alles, was zuvor getan wurde, in trockene Tücher gewickelt haben.

Für die radikalen Marktverfechter - diejenigen vom Schlage eines Mises oder Hayek - wäre die einzige richtige Lösung, die Banken abzuwickeln. Diese Menschen sind Fanatiker, für die gilt, dass dem Prinzip gefolgt werden muss, möge die Welt daran untergehen. Ihre moralische Rechtfertigung ist natürlich der Sozialdarwinismus. Seltsamerweise sind die Sozialdarwinisten immer diejenigen, die so gut abgesichert sind, dass sie sich von einem wirtschaftlichen und politischen Desaster nicht fürchten müssen. Eine solche Zuversicht entspricht in der Tat der bisherigen historischen Erfahrung. Die „Eliten“ in den westlichen Gesellschaften, in denen der Kommunismus nie siegen konnte, sind mehrheitlich auch nach den schwersten ökonomischen Krisen und Kriegen reich und mächtig geblieben. Deshalb wollen sie glauben, dass sie auch nach der nächste Katastrophe mit einem blauen Auge davon kommen würden. Sie täuschen sich aber. Die Welt ist mittlerweile anders geworden. Noch im 20. Jahrhundert war der Westen in jeglicher zivilisatorischen Hinsicht dem Rest der Welt so weit voran, dass er sich jeden Schwachsinn erlauben konnte. Er konnte alles in Schutt und Asche legen, dann konnte er von Neuem beginnen, und sehr bald war es wieder so weit, dass er über den ganzen Planeten herrschte. Im 21. Jahrhundert hat der Westen diese Narrenfreiheit nicht mehr. Die anderen haben aufgeholt. „Die Zeit ist ein für allemal vorbei, in der die Westmächte ein Land im Osten erobern konnten, indem sie einfach ein paar Kanonen an der Küste aufstellten“, stellte der chinesische Oberbefehlshaber Peng Dehuai im Koreakrieg (1953) fest. Möglicherweise ist dieser Erfolg des Rests der Welt unser Glück und unsere letzte Rettung. Möglicherweise ist er die einzige reale Chance, unsere raffgierigen, rücksichtslosen und räuberischen „Eliten“ zur Vernunft zu bringen.

Was könnten wir aber abschließend über unser Finanzsystem sagen? Was sollte dort geändert werden? Mehr Transparenz, Kontrolle und Regelungen würden bestimmt gut tun. Aber viel wird sich auch damit nicht erreichen lassen. Die wichtigste Maßnahme wäre die an sich einfachste: Den Geschäftsbereich der Börse drastisch zu beschränken. Wer wirklich reich genug ist, also es sich leisten kann, soll nach Lust und Laune an der Börse spekulieren. Er wird sich Mühe geben, etwas davon zu verstehen, so dass er der Gesellschaft womöglich nützlich sein wird, auch wenn er kein guter Mensch ist und nur seine eigenen Interessen im Auge hat. Wenn er nämlich sein Geld verloren hat, weil dieses in falsche Investitionen geflossen ist, hat die Gesellschaft bzw. Wirtschaft etwas davon: sie hat was gelernt. Der Reiche hat damit den Preis für unsere falsche Vorstellungen bezahlt. Das ist etwas anderes, als wenn er sein Geld in einem ganz gewöhnlichen Casino verloren hätte. Für die nicht vermögenden Spieler - wenn sie es nicht lassen können - ist die Lotterie die richtige Wahl. Vor allem wenn sie staatlich ist und die Gewinne an gesellschaftlich nützliche Projekte gehen.

Würde man das spekulative Sparen, also die Börsengeschäfte auf ein vernünftiges Maß schrumpfen lassen, wäre schon das Wichtigste getan, was im Bereich des Möglichen liegt. Auch hier stimmt also, was Paracelsus, ein bedeutender Arzt und Naturforscher des späten Mittelalterns über Arzneimittel gesagt hat: „Nur die Dosis macht das Gift“ (Sola dosis facit venenum). Die periodischen Krisen der freien Marktwirtschaft wird man jedoch mit keinen Nachbesserungen im Finanzsystem beseitigen können, weil ihre Ursachen anderswo liegen. Aber es wäre schon viel getan, wenn man verhindern könnte, dass die Börsen und Banken die Bürger ausplündern. 

 
 
     
 
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