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       Die Strategien der Machteliten im Kapitalismus und wie sie verschleiert werden
      Die rhetorischen und dialektischen Tricks auf jeden Fall Recht zu behalten
 

  Ein Gastartikel

       
 
Jedes Problem hat zwei Seiten: Die falsche und die unsrige.
 
    Schweizer Sprichwort    
       
 
Jeder, der einmal mit Modellen zur Konjunkturanalyse gearbeitet und dabei einen klaren Kopf bewahrt hat, weiß um den ökonomischen Hokuspokus, der dort getrieben wird: Hier ein bisschen am Konsum gedreht, dort ein wenig an der Investitionsschraube, und irgendwie bekommt man dann schon eine Wachstumsprognose hingebogen, die sich nicht allzu sehr von den anderen Mitbewerbern unterscheidet, aber dennoch Eigenständigkeit wahrt.
Die einschlägigen Zeremonienmeister der Konjunkturabteilungen, welche die so zustande gekommene Zahl dann mit staatstragender Miene bekanntgeben, dürfen sich der Aufmerksamkeit der Medien und der Politik sicher sein. Regierung und Opposition stürzen sich gleichermaßen gierig auf sie und versuchen sie für sich auszuschlachten. Da bleibt kaum Zeit zu fragen, wie die Zahl denn zustande gekommen ist und welchen wirtschaftspolitischen Zielen sie dient beziehungsweise gerecht wird.
 
    Thorsten Hilddeutscher Ökonom und Publizist    
       

Im vorhergehenden Beitrag haben wir uns angesehen, wie gekaufte Fachleute mit statistischen Daten umgehen, um den von ihren Auftraggebern gewünschten Eindruck zu erwecken. Dabei haben wir uns vorerst auf Methoden beschränkt, die man als statisch bezeichnen kann, d. h. vorliegende Daten wurden für die Beschreibung eines bestimmten Zeitpunktes manipuliert. Selbstverständlich beherrschen die Neoliberalen aber auch dynamische Verfahren, mit denen sie ganze Zeitabläufe in ihrem Sinne interpretieren können. Diese Tricks sind ihre effektivsten Waffen im Kampf zur Durchsetzung ihrer Gier nach Macht und Reichtum. Mit deren Hilfe versuchen sie, ihre Kompetenz wie ihre Theorien als unwiderlegbar und einzig richtig erscheinen zu lassen. Leider mit Erfolg, wie wir sehen werden.

Das dreiste Beharren auf der eigenen Kompetenz

Die neoliberalen „Experten“ wissen, dass es besser ist, eine unerfreuliche Entwicklung zu beschönigen, als sie zugeben und erklären zu müssen. Die Medien unterstützen sie dabei nach Kräften. So findet man etwa in den Zeitungen Meldungen wie „Deutsche Wirtschaft wächst um x,x %“. Wann immer man eine Prozentzahl hört, sollte man eigentlich sofort fragen „Prozent von was?“. Die Auskunft über diese so genannte Basis des genannten Wertes fehlt in den Nachrichtenmeldungen jedoch so gut wie immer. Damit wird verschleiert, was sich tatsächlich ereignet hat. Das eindrucksvollste Beispiel hierfür sind die Jubelmeldungen kurze Zeit nach Ausbruch der großen Krise. Damals konnte man überall lesen und hören, die deutsche Wirtschaft habe sich glänzend erholt und sei bereits wieder kräftig gewachsen. Was man dagegen nirgendwo in den Leitmedien erfahren konnte: Die deutsche Wirtschaft war zu Beginn der Krise jäh abgestürzt. Danach hatte sie wieder etwas Boden unter die Füße bekommen. Daraus ergab sich für die Autoren der Jubelmeldungen die Möglichkeit, das allenfalls mäßige aktuelle Jahr mit dem katastrophalen Vorjahr zu vergleichen. Wir haben es hier wieder einmal mit einer der unzähligen Variationen des Kunstgriffs zu tun, das Schlechte besser erscheinen zu lassen, indem man es mit dem noch Schlechteren vergleicht. Um es bildlich auszudrücken: Der damals überall verbreiteten Darstellung nach ist jemand, der mit viel Mühe noch nicht einmal zur Hälfte aus dem Loch hinausklettern konnte, in das er gefallen ist, schon wieder außer Gefahr und muss sich keine Sorgen mehr machen.

Doch manchmal kann man auf solche Taschenspielertricks nicht zurückgreifen, weil es einfach zu plump und auffällig wäre, oder die Lage ist so schlecht, dass sie nicht ausreichen. Am einfachsten ist es dann einfach zu sagen, die Aussichten für die Zukunft seien gut. Da das sehr oft gemacht wird, hat sich in kritischen Kreisen schon lange eine Art geflügeltes Wort über das dumme Motto von Prognostikern gebildet: Am Ende des betrachteten Zeitraumes geht es immer nach oben. Das bringt uns direkt zum liebsten Kind der neoliberalen Ökonomen, den Prognosen. Wirtschaftsforschungsinstitute und auch die Bundesregierung geben regelmäßig ihre Konjunkturprognosen bekannt. Deren scheinbarer Nachteil ist aber, dass diese niemals stimmen. Das wird aber jedes Mal unter den Teppich gekehrt. Mit ungebrochenem Selbstbewusstsein reden dann die „Experten“ davon, die Wirtschaft habe sich „besser als erwartet“ entwickelt oder die Arbeitslosigkeit steige „langsamer als befürchtet“. Es ist wirklich absurd, wie sich jemand, der noch nie eine zutreffende Vorhersage machen konnte anmaßt, etwas über die Wirtschaftsentwicklung aussagen zu können. Dem ganzen wird die Krone aufgesetzt, wenn man davon hört, ein Institut habe seine Prognose gerade „korrigiert“. In den seriösen Wissenschaften ist es aber üblich, dass jemand, der etwas voraussagt, seine Prognose eben nicht verändern darf, weil sie dadurch ihren Sinn verliert.

Stellen wir uns einmal vor, wir wollten eine Fahrradtour ins Grüne machen, aber sind uns nicht sicher, ob es später vielleicht doch Regen geben wird. Ein Bekannter von uns sagt, er kenne sich mit dem Wetter aus, es würde ganz bestimmt nicht regnen. Wir fahren also mit ihm zusammen los. Unterwegs verfinstert sich der Himmel und einige Tropfen fallen. Unser Bekannter sagt, er habe wohl nicht 100 % richtig gelegen, aber zu einem echten Regenguss würde es nicht kommen. Aber der Regen hört nicht auf und wird sogar mehr. Davon völlig unbeeindruckt meint unser Bekannter, das sei nur vorübergehend und es wäre Blödsinn, deswegen umzukehren. Schließlich schüttet es wie aus Eimern und wir suchen Zuflucht in einem Buswartehäuschen. Jetzt lässt unser Bekannter uns wissen, der Ausflug wäre ins Wasser gefallen, aber wir kämen wenigstens noch trocken nach Haus. Auch das tritt nach längerem Warten nicht ein und wir müssen im Regen nach Hause fahren. Zum Abschied hat unser Bekannter immer noch keine Zweifel an seiner Kompetenz das Wetter vorherzusagen, aber er sei nun mal kein Hellseher. So einfach sei das ja nun auch wieder nicht, das müssten wir schon verstehen. Würden wir von einem solchen Menschen jemals wieder etwas über das Wetter wissen wollen? Ganz sicher nicht. Wir wären obendrein noch wütend, wie dreist er uns zum Narren gehalten hat. Doch leider schaffen es die neoliberalen Ökonomen seit Jahrzehnten, auf genau diese Weise ihre Reputation als „Wirtschaftsexperten“ zu erhalten.

Wann immer es darum geht, die Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft zu beurteilen, haben sie Ausreden parat mit denen sie „beweisen“, dass sie immer Recht haben. Wächst die Wirtschaft besser, als sie es für diesen Zeitraum vorhergesagt haben, werten sie das als Beweis dafür, wie gut die von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen funktioniert haben. Sollte sich das nicht anwenden lassen, z. B. weil ihre Vorschläge noch gar nicht umgesetzt wurden oder gar das Gegenteil getan wurde, ist es ihnen nicht zu peinlich einfach zu behaupten, alles wäre noch viel besser gelaufen, hätte man auf sie gehört. So viel Dreistigkeit auf einmal ist eigentlich schwer zu ertragen, aber sie kommen immer wieder damit durch. Vor diesem Hintergrund erscheint es uns ganz und gar nicht paradox, dass die neoliberalen Prognostiker besser dran sind, wenn es schlechter gelaufen ist, als sie erwartet haben. Dann haben sie reichlich Gelegenheit, viel mehr und viel tiefgreifendere „Reformen“ zu verlangen. Wie wir heute wissen, hat man ihnen seit viele Jahren immer mehr Folge geleistet, aber ihre Versprechungen von „blühenden Landschaften“ wollen sich einfach nicht bewahrheiten. Natürlich haben die Blender vom Dienst auch dafür eine Erklärung parat. Die „Reformen“ würden ihre Wirkung erst „langfristig“ entfalten. Die Dauer dieser langen Frist geben sie aber nie an. Die Thematik sei eben äußerst kompliziert, da könne man nichts Exaktes sagen. Außenstehende verstünden diese Tatsache einfach nicht und sollten sich deshalb mit Kritik zurückhalten. Es ist wirklich niederschmetternd sich dieses Schauspiel mitansehen zu müssen, zumal sich die meisten Menschen in anderen Bereichen des Lebens niemals so verschaukeln ließen und die selbsternannten „Experten“ in die Wüste schicken würden. Aber die von den Reichen und Mächtigen geförderten „Wissenschaftler“ und „Denker“ genießen wahrhaft Narrenfreiheit. Aber warum ist das so?

Die Strategie der neoliberalen Konterrevolution

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten es die Marktradikalen schwer. Ihre wirtschaftspolitischen Empfehlungen hatten die Welt in eine schwere Krise gestürzt, und nach dem darauf folgenden Krieg hatte sich der Sozialismus bis ins Herz Europas ausgebreitet. Den Reichen und Mächtigen blieb nichts anderes übrig, als ihren Völkern Zugeständnisse zu machen, wie es sie in der Geschichte des Kapitalismus nie zuvor gegeben hatte. Dieser Zustand hielt allerdings nicht lange an. Nach einiger Zeit fielen die sozialistisch geführten Länder wirtschaftlich mehr und mehr zurück, womit der große Gegenspieler viel von seinem Schrecken einbüßte. Damit fiel für die Prediger des völlig freien Marktes das größte Hindernis weg und so mussten sie nur abwarten, bis ihre Zeit kommen würde. Der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister beschreibt sehr anschaulich, wie und warum es zu ihrer Rückkehr kam:

„Mit seiner Presidential Address bei der American Economic Association begann Milton Friedman 1968 mit der Generaloffensive gegen Keynesianismus, Vollbeschäftigungspolitik, Sozialstaat und Gewerkschaften. Sie wurde dadurch gefördert, dass der Erfolg des Realkapitalismus das Bündnis Arbeit-Realkapital unterminiert hatte: Bei Vollbeschäftigung nahmen die Streiks zu, die Lohnquote stieg massiv, immer mehr Mitbestimmung wurde verlangt, links wurde schick unter Intellektuellen, die Sozialdemokratie bekam Aufwind etc. Als dies verstörte die Unternehmer immer mehr.
Die neoliberalen Masterminds holten die Vermögenden in ihrer Irritation gewissermaßen ab, indem sie die übermächtigen Gewerkschaften und den ausufernden Sozialstaat zu Hauptübeln erklären und Modelle konstruieren, die dies wissenschaftlich bewiesen. Dabei entwickelten sie eine geniale Doppelstrategie:
• Schritt A: Auf Grund wissenschaftlicher Empfehlungen werden Probleme geschaffen.
• Schritt B: Diese werden so gedeutet, dass die Schlussfolgerung in den Dienst eines neuen Schrittes neoliberaler Propaganda gestellt werden kann.“ ... >

Im Anschluss an die zitierte Passage geht Schulmeister darauf ein, welche Schritte konkret vollzogen wurden. Solche Details würden hier jedoch zu weit führen. Wir wollen jetzt den Weg der neoliberalen Konterrevolution bis heute verfolgen.

Die oben beschriebene Strategie funktionierte zunächst absolut narrensicher. Nachdem man erst einige wenige Forderungen umgesetzt hatte, konnten sich die Neoliberalen leicht darauf berufen, es müsse noch weitere „Reformen“ geben. Wie man sich leicht denken kann, wurde das desto schwieriger, je mehr „reformiert“ wurde und je länger sich die Zeiträume erstreckten, in denen ihre Versprechungen nicht eintreten wollten. Da kam ihnen der endgültige Zusammenbruch des Sozialismus natürlich gerade recht. Von da an gab es keinen Gegenpol mehr zum Kapitalismus und die rücksichtslosen und gierigen Machteliten konnten jegliche Zurückhaltung ablegen. Von den „Experten“ verlangte kaum noch jemand Rechtfertigung. Nur in akademischen Kreisen wurden sie noch kritisiert. Aber auch das konnten sie mehr als gelassen hinnehmen.

Bis Mitte der 70er Jahre wurde die akademische Ökonomie von der Theorie des bekannten englischen Ökonomen John M. Keynes dominiert. Bis dahin verzeichnete sie große praktische Erfolge, doch dann ging nichts mehr. Besonders in Deutschland wurde sie daraufhin von der Mehrheit der Ökonomen und von der Politik fallen gelassen wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel. Nun herrschte wieder die neoklassische Theorie. Das Scheitern des Keynesianismus hat aber nicht nur die oben erwähnten ideologischen Gründe. Keynes lag zwar damit richtig, die Annahme vom perfekten Funktionieren des freien Marktes abzulehnen und staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen vorzuschlagen. Aber seine Theorie weist eine große Nähe zur herkömmlichen neoklassischen Theorie auf. Seinen Nachfolgern ist es weder gelungen, sich von dieser Theorie zu emanzipieren noch die Gründe für das praktische Scheitern ihrer eigenen Theorie ausfindig zu machen. Die neoliberalen Ökonomen hatten also nicht einmal auf akademischem Feld eine ernste Konkurrenz zu fürchten. Daran hat sich bis heute wenig geändert.

Eine kurze Zusammenfassung und Bewertung

Wir haben nun ausführlich betrachtet, wie gut die Symbiose zwischen den Machteliten und ihren intellektuellen Gehilfen funktioniert. Ja, so wie sie konstruiert ist kann sie sogar theoretisch unendlich bestehen. Für die Kritiker dieses Zustandes und der daraus folgenden praktischen Konsequenzen ist es natürlich schwer, sich gegen Medienmacht und mit Titeln und Auszeichnungen ausgestattete Professoren Gehör zu verschaffen. Seit Ausbruch der großen Krise ist das etwas einfacher geworden, da angesichts eines solch offensichtlichen Missstandes nicht einmal Wissenschaftler und Medien Kritik einfach abbügeln können. Aber sie müssen sich weiterhin nicht fürchten, da die bedeutendsten Gegenbewegungen an der falschen Stelle ansetzen. Wirklich gefährlich können sie der etablierten Ordnung nicht werden. Das sehen wir uns im nächsten Beitrag an.

 
 
 
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