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  Die sogenannte „soziale Marktwirtschaft“ - die zweite fatale deutsche Lebenslüge? (II)
       
 
Gebt uns nur einen Markt - sagen die Fabrikanten - und wir werden euch Waren ohne Ende schaffen!
 
    Henry George, bekanntester amerikanischer sozialer Reformator des 19. Jahrhunderts
 
 
       
  Die glücklichen Jahrzehnte als die Nachfrage wie Manna von Himmel herunterplatschte:

Wer wissen will, was in den neuen Bundesländern nach der Wende abgelaufen ist, sollte das Buch von Siegfried Wenzel lesen: Was war die DDR wert? In ihm wird beschrieben, wie die ostdeutschen Industriekapazitäten buchstäblich zertrampelt wurden, um einen neuen „freien“ Markt für die westlichen Firmen zu schaffen. Die westdeutschen Investitionen in Ostdeutschland hat man auch noch, ganz perfide, mit Schulden aus „gedrucktem“ Geld finanziert, die dann alle Bürger solidarisch abbezahlen. In diesen Jahren, als die neuen Länder von Grund auf westlich „industrialisiert“ wurden, wuchs die gesamte deutsche Wirtschaft ein Jahrzehnt lang mehr als im vorigen Jahrzehnt. Das „gedruckte“ Geld sorgte für ein dynamisches Wachstum für die ganze deutsche Wirtschaft. Warum diesmal? Ja, richtig: Wegen der externen Nachfrage aus dem Geld „aus dem Nichts“.

In den ex-kommunistischen Ländern Osteuropas war es nur wenig anders. Das „gedruckte“ Geld wurde ihnen praktisch geschenkt, ähnlich wie beim Marshallplan. Richtig altruistisch geschenkt war dieses Geld eigentlich nicht - wie auch das Geld des Marshallplans es nie war. Ein Teil dieses Geldes floss (ganz) bewusst und (ganz) absichtlich in die Taschen der neuen, jetzt offiziell „demokratischen“ Politiker, damit diese im Interesse des Westens und nicht zum Wohl des eigenen Volkes handeln. Das nennt man Korruption. Zur Korruption gehören bekanntlich zwei, derjenige der nimmt und derjenige der gibt. Zu den ersteh gehören die neuen „demokratischen“ Politiker der ex-kommunistischen Länder, zu den zweiten gehören unsere „über jeden Zweifel erhabene“ Politiker und globale Wirtschaftseliten. So haben die westlichen „Investoren“ die vom Kommunismus geerbten wirtschaftlichen Ressourcen so gut wie umsonst bekommen. Vae victis! - in dem eigentlichen Sinne. (Sogar wenn die neuen „Demokraten“ eine totalitäre Ordnung eingerichtet haben, deren Nationalhelden die exponierten Naziverbrecher aus dem Zweiten Weltkrieg sind, wie Stepan Bandera in Ukraine, das störet unsere Politiker und globale Eliten nicht ein bisschen. Apropos Ukraine: Die fanatischen Neonazis gestalten regelmäßig kolossale Fackelzuge, wie gerade am 1. Januar dorthin - nichts davon merken die europäischen „Demokraten“.) Nicht nur direkt - als brutaler Raub der Ressourcen und des Absatzmarktes -, sondern auch indirekt war die „Demokratisierung“ der postkommunistischen Länder eine Bescherung für die westlichen Wirtschaften. Das Geld dieses „Marshallplans“ für Osteuropa war - wieder einmal ähnlich dem göttlichen Manna - eine neue Nachfrage für die westlichen Wirtschaften und für den deutschen Exportweltmeister insbesondere. Wo liegt aber das Problem für uns?

Der „Marshallplan“ mit der systematisch betriebenen Korruption war nur für den „Wiederaufbau“ der postkommunistischen Länder vorgesehen und er läuft bekanntlich in diesen Jahren aus. Eine sehr gewichtige Quelle der Nachfrage für die deutsche Wirtschaft wird bald austrocknen. Natürlich wird das gerade uns, den Exportweltmeister am stärksten treffen, aber damit nicht genug. Ein Unglück kommt selten allein - sagt das Sprichwort. Dieses zweite, womöglich unvergleichbar schlimmere Unglück sind die deutschen Wirtschaftswissenschaftler und andere unsere „Experten“. Warum?

Es gibt in keinem Land des alten Kapitalismus so sehr vom Neoliberalismus besessene Ökonomen wie in Deutschland. Beiläufig zu erwähnen ist, dass gerade sie schon 1929 und danach dafür gesorgt haben, dass die ökonomische Krise damals zur größten Katastrophe in Deutschland ausgeufert ist, dorthin indem sie zum Nazismus und dem Zweiten Weltkrieg führte. Sehr bemerkenswert und höchst interessant ist, dass die anderen westlichen Länder damals die neoliberale Wirtschaftspolitik mehr oder weniger durch eine nachfrageorientierte ersetzt haben, vor allem die pragmatischen Amerikaner. Das „goldene Zeitalter“ in den USA war Keynes‘-Zeitalter. Das fanden die deutschen Ökonomen schon immer falsch und auch nach dem Krieg sind sie sogar orthodox neoliberal geworden. Ich sehe zwei Faktoren, auf die sich der deutsche neoliberale Fanatismus gründet:

     
 

1:

Schaut man sich die deutsche Philosophie an, so ist sie platonisch bzw. spekulativ; auf die eine oder andere Weise verachtet und verschmäht sie empirische Tatsachen. Der deutsche Geist glaubt unerschütterlich an die reine Vernunft, reinen Willen - wen soll es dann wundern, dass sich dem so problemlos die reine Rasse angeschlossen hat. Wenn sich Tatsachen gegen das Denken sperren, dann sagt man überheblich und trotzig: „Desto schlimmer für die Tatsachen“ (Hegel). Warum sollte man also die neoliberale Wirtschaftswissenschaft verwerfen, nur weil ihr die empirischen Tatsachen widersprechen? Außerdem haben die historisch günstigen Umstände in Deutschland dafür objektiv gesorgt, dass die empirischen Tatsachen gegen die neoliberale Theorie es wirklich eine schwere Position haben. Die deutsche Wirtschaft hatte das seltene Glück immer wieder eine neue externe Nachfragequellen anzapfen zu können, so dass es das Problem des Nachfragemangels in der Praxis seit dem Zweiten Weltkrieg im Großen und Ganzen nicht gab.

2:

So sehr wie dem deutschen Geist die Tatsachen suspekt sind, ist ihm das strenge Denken sehr lieb. Das hat gewiss auch was Gutes in sich. In den technischen und exakten Wissenschaften haben wir der Welt so viele Genies gegeben, wie keine andere Nation. Es gab Zeiten als es mehr waren als alle anderen Länder zusammengenommen, gut, davon sind wir heute weit entfernt. Aber was hat das mit der Wirtschaftswissenschaft zu tun? Sehr viel. Als Walras (1874) die Marktwirtschaft mit dem komplizierten mathematischen Modell aus der klassischen Mechanik interpretiert hat, hat sich die kapitalistisch vereinnahmte Wirtschaftheorie immer mehr mathematisiert. Eine realitätsfremde, auf wenigen Banalitäten gestellte neoliberale Theorie ist plötzlich - rein formal betrachtet - fast so anspruchsvoll und komplex geworden wie die exakten Wissenschaften. Damit ist sie nicht ein bisschen empirisch und praktisch erfolgreicher geworden, sie hat nach wie vor mit der Realität überhaupt nichts zu tun, aber diese Mathematisierung hat die narzisstische Anmaßung der Neoliberalen so gestärkt, dass sie richtige pathologische Züge bekommen hat. Einen größeren Gefallen konnte die Mathematisierung der neoliberalen Theorie dem deutschen Geiste nicht tun. So befindet sich Deutschland wieder einmal auf einem absurden Sonderweg: Unseren Genies in den technischen und exakten Wissenschaften stehen dämliche Traumtänzer in der Wirtschafswissenschaft gegenüber.

 
     

Es wäre aber nicht fair, wenn man dieser vernichtenden Kritik nicht etwas hinzufügen sollte, was nicht sehr aber ein bisschen doch den Dogmatismus und Fanatismus der deutschen Ökonomen rechtfertigt. Wie schon gesagt, die spezifischen deutschen Tatsachen sind es, aber nicht nur sie. Alle bisherigen Versuche, die klassischen (Sismondi, Malthus) und auch von Keynes, die Marktwirtschaft nachfragetheoretisch analytisch streng zu modellieren und nachzuweisen sind zweifellos gescheitert. Der größte Ökonom des vorigen Jahrhunderts Keynes war kein mathematischer Ökonom. Seine Argumentation des Nachfrageproblems war eher ein Narrativ. In ein einfaches mathematisches Diagramm gefasst, genannt Einkommen-Ausgabenmodell, sagt seine Theorie des Sparens bzw. der Hortung nichts Bestimmtes. Die britische Ökonomin Joan Robinson, eine Keynesianerin, hat es exakt auf den Punkt gebracht: „Die Sparsamkeit ermöglicht eine hohe Akkumulationsrate und behindert gleichzeitig ihre Realisierung. Dieses paradoxe Wirken der kapitalistischen Spielregeln ist eine der Hauptfragen, die wir durch ökonomische Analysen aufzuhellen hoffen.“ Bitte schön! Die Nachfolger von Keynes hatten Zeit genug diese Nachfragetheorie analytisch streng zu gestalten. Wie schon erwähnt, nach dem Zweiten Weltkrieg, ganz anders als in Deutschland, haben die Keynesianer die Economics sogar dominiert. Das Ergebnis ist, wenn man es analytisch streng urteilt, bestenfalls sehr mager. Erwähnenswert ist nämlich nur das IS-LM Modell, mit dem sich über alles Mögliche schwätzen lässt, für etwas anderes ist es ungeeignet. Das „theoretische“ Scheitern der Keynesianer, also ihre Unfähigkeit die Nachfragetheorie analytisch streng zu begründen und zu beweisen, entlastet unsere deutschen Wirtschaftswissenschaftler zwar, aber nicht sehr. Alleine wegen des Scheiterns der Keynesianer wird die mathematisch anspruchsvolle aber realitätsfremde neoliberale Angebotstheorie nicht zur Wissenschaft. Dazu nur noch ein paar Worte:

In den seriösen Wissenschaften werden formal richtige Theorien, die in der Empirie scheitern - wie analytisch streng sie auch sein mögen - bedingungslos verworfen. Die Ökonomen sollen folglich die formal großartigen und monumentalen aber den Tatsachen widrigen Theorien endlich auch verwerfen und nach solchen suchen, die den Tatsachen gerecht sind. Zu den unbestrittenen empirischen Tatsachen gehört auch Nachfragemangel. Ein Versuch eine Theorie der Marktwirtschaft zu finden, die gleichzeitig analytisch streng und empirisch verifizierbar sein sollte, stelle ich in meinem Buch vor.

Fortsetzung folgt

 

     
Keywords und Lesehinweise  
#Neoliberalismus #Ordolibralismus  
 
Ausführliche Fachartikel auf der Website:  
Der deutsche Ordoliberalismus - ein Neoliberalismus getarnt für Sonntagspredigt lesen
Der Neoliberalismus - ein ideologischer Verrat an Liberalismus und Wissenschaft lesen
Im eBook thematisiert:  
Marktwirtschaft neu denken: Teil III, Kapitel 8.3c  
 
     
     
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