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2.b Ein durchschnittlicher Geist diskutiert Ereignisse

Wie Platon seine Moralphilosophie konkret realisieren wollte, haben wir schon gesehen. Auch Kant war manchmal konkret genug, so dass wir auch ein konkretes Weltbild aus seiner Sitten- oder Tugendlehre ableiten können. Hier erkennt man, dass Kant im besten Fall ein Irrläufer der Moderne war. Die frühmodernen Denker und Philosophen waren revolutionär, die sich gegen jegliche Machtverhältnisse gestellt und vor den Gefahren der Machtergreifung der neuen Klasse der Kapitalisten gewarnt haben. Bei Kant finden wir nichts davon, im Gegenteil. In ein paar Schlagworten ausgedrückt sah Kant das wahre des preußischen Untertanen in Provinzialismus, Konformismus und Opportunismus. Wir beschränken uns hier auf ein paar Beispiele dazu. Große Denker und Philosophen seit dem Beginn der Moderne haben sich Gedanken gemacht, wie sich die Bürger von der Willkür der Mächtigen schützen können, schließlich sollten ihrer Meinung nach Herrscher, die ihre Untertanen schlecht behandeln, ihre Legitimität verlieren. So folgerte etwa John Locke (1632-1704) in seiner berühmten Abhandlung über die Regierung, dass es dem Volk „völlig frei steht, sich der Gewalt derjenigen zu widersetzen, die ihm ohne Befugnis etwas auferlegen wollen“. Man könnte annehmen, Kant würde in seiner Sittenlehre das Recht des Volkes auf notfalls gewaltsame Ablösung der ungerechten Herrschaft (Revolution) zur moralischen Pflicht und zum universalen Gesetz erklären, aber das Gegenteil ist der Fall. Kant erklärt in seinem Aufsatz Über den Gemeinanspruch (Berlinische Monatsschrift, 1793), dass „alle Widersetzlichkeit gegen die oberste gesetzgebende Gewalt, alle Aufwiegelung, um Unzufriedenheit der Untertanen tätlich werden zu lassen, allen Aufstand, der in Rebellion ausbricht“ für ihn „das höchste und strafbarste Verbrechen im gemeinen Wesen“ ist. Und etwas später (1797) in der Metaphysik der Sitten (I,2,1: Das Staatsrecht) lehnt er noch klarer bzw. rigoroser den Willen des Volkes ab: „Wider das gesetzgebende Oberhaupt des Staates gibt es also keinen rechtmäßigen Widerstand des Volks; denn nur durch Unterwerfung unter seinen allgemein-gesetzgebenden Willen ist ein rechtlicher Zustand möglich; also kein Recht des Aufstands (seditio), noch weniger des Aufruhrs (rebellio), am allerwenigsten gegen ihn, als einzelne Person (Monarch) unter dem Vorwande des Mißbrauchs seiner Gewalt (tyrannis).“ Bei einem „einfachen“ Menschen würde man das Unterwürfigkeit, Kleinmütigkeit und Feigheit nennen. Aber nur beim abstrakten Sinnieren ist es bei Kant nicht geblieben. So hat er sich klar gegen die gewaltsamen Erhebungen gegen tyrannischen Herrscher positioniert, die zu seinen Lebzeiten in der Schweiz, in den Niederlanden und in Großbritannien stattfanden. Er stand fest auf der Seite der Gegenaufklärer wie etwa Edmund Burke, Johann Georg Hamann, Joseph de Maistre, Donoso Cortés und Lord Acton. Kant ist ein Totalitarist wie Platon, mit dem Unterschied, dass er es nicht zugibt und mit schon ziemlich fortgeschrittenem Orwellismus tarnt. Eins war Kant ganz bestimmt nicht, nämlich ein Beispiel für den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“.

Wie zynisch und konformistisch Kant war, lässt sich aus dem Vergleich seiner Auffassung über die Bodenaneignung mit der von Locke entnehmen. Weil Gott die Erde allen Menschen schenkte, schränkt Locke in seiner berühmten Abhandlung über die Regierung die individuelle Aneignung des Bodens auf zweierlei Weise ein. Ein Individuum darf sich nur das aneignen, was es „durch Arbeit seines Körpers ... dem Zustand entrückt, den die Natur belassen hat ... worauf sich sein Fleiß erstrecken konnte“. Als zweite Aneignungsbeschränkung sieht Locke den Bedarf an: „So viel, wie jemand zu irgendeinem Vorteil seines Lebens gebrauchen kann, bevor es verdirbt, darf er sich durch seine Arbeit zum Eigentum machen. Was darüber hinausgeht, ist mehr als sein Anteil und gehört den anderen. ... Sonst nimmt er mehr, als ihm zusteht, und beraubt andere.“ So etwas könnte durchaus als ein allgemeines Gesetz der Vernunft gelten, was schlägt aber Kant vor? Er legitimiert einfach die erste Inbesitznahme des ursprünglich gemeinsamen Bodens (prima occupatio) durch angebliche selbstauferlegte moralische Pflichten der von da an ewigen Besitzer. Das ist nur eine säkularisierte Auffassung von Gottesgnadentum und Feudalismus, dazu noch durchwachsen mit Heuchelei und Zynismus. Nach Kant „hat jeder das Recht auf Eigentum, wenn er welches hat, aber kein Recht auf Eigentum, wenn er keines hat“ so der Politologe Richard Saage ironisch. Soll etwa so ein „allgemeines Gesetz“ der Tugend aussehen? Es kam also nicht von ungefähr, dass Landjunker, Staatsbeamte, Pfaffen und Zuchtmeister in der damals „verspäteten Nation“ in Kant einen ihrer liebsten moralischen und politischen Reaktionäre erkannt und ihm auch ein großes Begräbnis mit viel Pomp veranstaltet haben, wie es bei keinem anderen Philosophen je der Fall war. Sie wussten oder zumindest ahnten, dass dieser hochtrabende Verweigerer der Realität für etwas gut war. Ja, wie sich später herausgestellte, hat er die Vorlage für den deutschen Exzeptionalismus geschaffen. Werden die Verteidiger von Kant in die Ecke getrieben, erzählen sie gern, wie das im Kontext der Zeit zu sehen sei und dass es auch andere gab, die nicht besser waren. Als Gegenbeispiel gibt es aber genug andere Namen aus dieser Zeit. So gab es keine öffentliche Autorität, die Hume das Leben nicht so schwer wie möglich machen wollte, sogar auf dem Friedhof ließen sie ihn nicht in Ruhe liegen. Smith hat sich trotz der Gefährdung seiner eigenen Karriere immer für ihn eingesetzt. „Schon zu Lebzeiten und seit seinem Tod“ - so Smith im Nachruf auf seinen Freund - „habe ich Hume immer für denjenigen gehalten, der sich dem Ideal eines vollkommen weisen und moralischen Menschen so weit näherte, als es die Unvollkommenheit der menschlichen Natur vielleicht überhaupt zulässt“. Richtig absurd wäre es, Kant und Spinoza als ähnlich zu bezeichnen.

Der eingebildete Besserwisser und selbstgefällige Bessermensch Kant ist ein gutes Beispiel für die von Jesus verdammten Propheten, die sich als Schafe präsentieren aber in Wirklichkeit reißende Wölfe sind: heuchlerisch und hinterlistig. Es ist fast überflüssig dazu noch zu bemerken, dass Kant als Moralphilosoph in jeder Hinsicht weit unter dem zivilisatorischen, geistigen und intellektuellen Niveau der oben erwähnten Denker wie etwa Buddha, Mahabharata, Shâyast lâ-shâyast und Epiktet und manchen anderen stand. Man kann seine Pflicht- oder Tugendethik nur mit einer beträchtlichen Dosis von Zynismus verteidigen, etwa indem man sagt, sie sei auf eine großartige und beeindruckende Weise idealistisch oder romantisch. Das klingt viel netter und beruhigender als zu sagen, sie ist lebensfernnaivund hinterlistig - oder einfach nur dumm. Indem Kant nicht einer der üblichen Gutmenschen war, sondern einer mit einmaligen Talenten für verbale philosophische Raffinessen und Pirouetten, hat er zweifellos den Ehrentitel Meisterdenker der Anmaßung und der Heuchelei verdient.

Von Schopenhauer stammen viele nicht gerade schmeichelhafte Aussagen über Hegel, unter anderem auch diese: „Hegel, ein platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan, der, mit beispielloser Frechheit, Aberwitz und Unsinn zusammenschmierte, welche von seinen feilen Anhängern als unsterbliche Weisheit ausposaunt und von Dummköpfen richtig dafür genommen wurden ... hat den intellektuellen Verderb einer ganzen gelehrten Generation zur Folge gehabt.“ Nur in einem hat sich das als untertrieben erwiesen: Es wurde nicht nur eine Generation durch sein „Zusammenschmieren sinnloser, rasender Wortgeflechte, wie man sie bis dahin nur in Tollhäusern vernommen hatte“ verdorben, insbesondere wenn man hier seinen berühmtesten Nachfolger Marx berücksichtigt. Aber Hegel hat auch nicht bei null angefangen. Der große Aufklärer Herder urteilte damals über Kant (Kategorien): „öde Wüste voll leerer Hirngeburten ... anmaßende Wortnebel.“ Ein Philosoph, der Jahrhunderte später den apriorischen Mystizismus und hypermoralischen Narzissmus von Kant in eine libertäre Tugendethik eingepackt hat, war Popper. Da auch er bis heute viel gerühmt wird, verdient er hier kurz erwähnt zu werden.

Die Moral, nach der es unsinnig sei, auf die empirischen Folgen der eigenen Taten zu schauen, sondern sie nur nach ihren guten Absichten und der eigenen edlen Haltung zu beurteilen, hat Popper übernommen. Er erzählte immer wieder genüsslich, wie er sich wegen seines naiven jugendlichen Glaubens vom Kommunismus angezogen fühlte, bis er angeblich erfahren hat, welche fatalen praktische Konsequenzen das nach sich zieht, was ihn folglich „vom Kommunismus abbrachte ... Es war kurz vor meinem siebzehnten Geburtstag. Mehrere junge sozialistische und kommunistische Arbeiter wurden erschossen. Ich war erschüttert: entsetzt über das Vorgehen der Polizei, aber auch empört über mich selbst. Denn es wurde mir klar, dass ich als Marxist einen Teil der Verantwortung für die Tragödie trug.“ Popper ist nie als Kommunist oder zumindest Marxist aufgefallen. Warum streut er aber dann so gern und so reumütig diese Asche über sein Haupt? Ihm war höchstwahrscheinlich bewusst, dass man keinem so gern glauben mag wie dem Gläubigen, der es nicht mehr ist. „Popper schlug selbst die erschossenen Demonstranten nicht dem Kapitalismus zu. Durch ihren Angriff auf die Staatsgewalt waren die Kommunisten an der Erschießung der Demonstranten schuld. Solche Opfer delegitimierten in Poppers Argumentation die soziale Revolution an sich. ... Er verwarf den Marxismus als zynische Ideologie, die den Tod ihrer Parteigänger einkalkuliere. Nur diese falsche Ideologie sei für die Katastrophe in der Hörigasse verantwortlich“ (Nordmann: 54). Solche Opfer delegitimierten in Poppers Argumentation endgültig die soziale Revolution an sich. Seltsam, dass ihm hier für seine Erkenntnis ein einziger Fall ausreichende Verifikation war, geschweige denn hat er den Versuch unternommen diese Erkenntnis gemäß seiner eigenen Philosophie durch eine Falsifikation „endgültig“ zu begründen. Wenn also der liberal-kapitalistische Staat im Konfliktfall niemals eine Schuld an den Opfern trägt, sondern nur seine Widersacher, dann sind der Kapitalismus bzw. die „offene Gesellschaft“ moralisch immer auf der richtigen Seite. Aber noch etwas ist an Popper nicht weniger erstaunlich und merkwürdig. Er spricht gern von seinem angeblichen kompromisslosen Kampf gegen den Totalitarismus. Obwohl er sich als Jude nur mit viel Glück vor der Judenverfolgung unter Hitler retten konnte, fiel es ihm in seinem ganzen langen Leben nie ein, neben dem Kommunismus auch und gerade den Faschismus als Totalitarismus zu brandmarken. Zu einer so auffälligen Boshaftigkeit sind vielleicht nicht viele Menschen fähig.

Jesus hat seinen Paulus, Marx seinen Lenin bekommen und bei Popper hat sich das Schicksal für Soros als Apostel bzw. Nachfolger entschieden, einen Gauner aus dem Sumpf der globalen Finanzelite. Auch George Soros ist bekanntlich Jude, der die Enteignung der von den Nazis deportierten Juden selbst erlebt hat. Am 20. 12. 1998 erklärte er in einem Interview mit Steve Kroft für CBS („60 Minutes“), dass es ihm nicht leid tat, „bei der Beschlagnahme des Eigentums der Juden zu helfen“. Er fügte hinzu: „Es hätte nichts geändert, wenn ich nicht da gewesen wäre. Es war eigentlich lustig, wie auf einem Markt. Ich war nur der Zuschauer, wie das Eigentum den Besitzer wechselte.“ Wen wundert‘s, wenn dieser Mensch im Namen der Demokratie und Freiheit durch seine Stipendiaten gewaltsame und blutige Umstürze („farbige Revolutionen“) in den Staaten organisierte, deren Führung sich weigerte, das eigene Volk dem amerikanischen Kapitalismus und Kolonialismus auszuliefern. Soros, der größte Konquistador unserer Zeit, der für Millionen von Toten und eine noch viel größere Zahl von Verelendeten und Hungernden verantwortlich zeichnet, ist ein dezidierter Stückwerktechniker der „Offenen Gesellschaft“ – Poppers Philosophie ohne Maskierung in die Praxis umgesetzt. Seit Jahrzehnten häufen sich Verbrechen, Morde und Kriege überall dort, wo die Freiheit als Ziel und Zweck propagiert wird. Dies ist ein klares empirisches Ergebnis der Handlungen derjenigen, die sich auf die Idee der Freiheit berufen. Es ist daher nicht übertrieben zu fragen, ob die Freiheit wohl der größte Irrtum oder der größte Betrug des vom real existierenden Kapitalismus usurpierten Geistes der Moderne ist - oder sogar beides.

Fortsetzung folgt

 
 
 
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